Der moderne Mensch ist laut

Als Allein­reisende bin ich fast über­all den Stim­men ander­er Men­schen ausgesetzt.

Vor­let­ztes Jahr ist mir das um ersten Mal im vollen Umfang bewusst gewor­den. Ruhig war es, wenn ich um 7 Uhr mor­gens zu einem Vulkan — eigentlich ein Aschenkegel, cin­der cone — wan­derte. Da in dieser Umge­bung auch wenig wuchs, waren nicht viele Vögel zu hören. Es kann auch sein, dass mir das Sin­gen der Vögel lieber ist, als das andauernde Gerede.

Doch ein­mal liebte ich es. Als ich mit meinem Zelt umrun­det von lauter Fam­i­lien zu liegen kam, und als es dunkel wurde, hörte ich aus jedem Eck einen Vater eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen.

Welche Geschicht­en es waren?
Das weiß ich nicht, das kon­nte ich nicht hören.

Woher ich weiß, dass es Gute-Nacht-Geschicht­en waren? Der Ton­fall, die Melodie der Stimme, die San­ftheit, die die kleinen Zuhör­er auf den kom­menden Schlaf vor­bere­it­ete. Und auch ich schlief gut.

Tja, und was ist, wenn man keine Stimme hört. Dann hört man ein Auto. Sicher­lich kann ich weit weg gehen, aber da ich meist alleine unter­wegs bin, ver­suche ich, nicht ver­loren zu gehen. Also suche ich gemäßigte Ein­samkeit, so dass ich in der Not gefun­den werde, also in Menschennähe.

Ich weiß noch, wie verza­ubert ich war, als ich auf meinen Haus­berg stieg und plöt­zlich war es ruhig.

Aber was rede ich so gescheit daher, ich bin dich selb­st eine, die um sich herum Lär­mquellen schafft. Denn zu einem Teil beun­ruhigt mich absolute Ruhe.

Aber hier gibt es Enten und Frösche, die am Abend ein schauder­haftes Konz­ert geben. Die Stim­men der kreis­chen­den Kinder vom Pool sind weit weg und wenn sie um mich herum Ball spie­len, freu ich mich über ihre Begeis­terung. Den anderen Teil bilden Pen­sion­is­ten, viele mit Hun­den, und die hört man aufgeregt hin­ter ihrem Hund her schimpfend, wenn der nicht Franzö­sisch ver­ste­hen will. Wie der Mini­hund mein­er Nach­barin, der mein Apparte­ment auch beset­zen will, und sie im Nachthemd ver­sucht, ihn von mein­er Ter­rasse zu bringen.
Dieser Lärm stört mich nicht.

Ich merke nur, in Men­schen­nähe ist es laut.

So hätte wed­er Nean­der­taler noch Cro-Magnon-Men­sch über­leben kön­nen. Aber vielle­icht wird’s am Lager­feuer genau­so ein Stim­mengewirr gegeben haben wie bei uns. Nur wie laut wer­den 15 bis 20 Homo gewe­sen sein?

Das führt mich zu dem großen Rät­sel, wann wir denn zu quatschen began­nen. Der Nean­der­taler, mit dem wir einen gemein­samen Vor­fahren teilen, besitzt eben­falls das FOX­P2-Gen, ein für unsere Sprech­fähigkeit wichtiges Gen (neben anderen). Ihr Kehlkopf war noch anders gebaut und der unsere war anscheinend auch nicht von Anfang an reif. Mir war nicht bewusst, dass Sprechen nur durch eine kom­plexe Motorik möglich ist. Sprech- und Sprach­störun­gen gehen damit ein­her. Eine Störung dieses Gens lässt die Betrof­fe­nen auch bei non­ver­balen Intel­li­gen­ztests schlechter abschnei­den. Tja, da soll noch ein­er sagen, quatsch nicht so viel.

Man ver­mutet auch, dass die kom­plex­en Anforderun­gen, die der mod­erne Men­sch in den ver­gan­genen 70000 Jahren bewälti­gen musste, die Sprache förderten. Denn die Umwelt, mit der es der mod­erne Men­sch zu tun hat­te, änderte sich ständig. Warm und Kaltzeit­en forderten ständi­ge Anpas­sun­gen. Die Sprache kön­nte da geholfen haben.

P.s. Bevor wir nun über­schnap­pen, Vögel besitzen dieses Gen auch, son­st kön­nten sie wohl nicht so schön sin­gen. Allerd­ings soll unsere Gen­vari­ante tat­säch­lich so alt sein wie der mod­erne Men­sch zwis­chen 100 und 200.000 Jahre.

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