Herbstspaziergang im Nationalpark

Ich hat­te Lust auf Steine, runde, glat­te Steine. Steine, die ich anmalen kann. Also auf zur Donau! Der Herb­st ist eine mein­er Lieblings­jahreszeit­en, neben Früh­ling, Som­mer und Winter.

_mg_1301-cr2Nation­al­parks in Öster­re­ich sind für mich immer noch gewöh­nungs­bedürftig. Zu nah die Zivil­i­sa­tion, spür­bar und offen­sichtlich. Und doch, wenn ich mich bemühe, meine Fan­tasie ein­schalte und mir bewusst mache, sehe ich all die Stellen, zu denen ich nicht vor­dringe kann. Die allen anderen gehören und nicht den Menschen

_mg_1285Noch sehe ich allerd­ings, so viel Kul­tur mit­ten in der Natur. Ich gehe am alten Trep­pel­weg, auf alten Steinen, nicht asphaltiert, anders wie an vie­len anderen Stellen, berühmt als Dona­u­fahrrad­weg, hier ist Rad­fahren ver­boten, und die Tegeth­off und Kaiserin Elis­a­beth tuck­ern vor­bei Rich­tung Bratisla­va, sie lassen die Donau kurz rauschen und ich schließe die Augen und bin für kurze Momente am Meer und höre die Wellen, wie sie mit den Steinen sin­gen. Die Enten, die einen Lieblingsplatz bei den Steinen, die weit hine­in­führen ins Bett des Flusses, haben, nehmen Schwung, wie wilde Surfer und set­zen an zu einem kurzen Ritt auf den Wellen, die die Donauschiffe lostrat­en. Ich sehe Steine, mit denen die Donau ein wenig gezähmt wer­den soll, alt, ver­mute ich, denn ich bin mit­ten im Nation­al­park Donau-Auen. Es ist ein europäis­ch­er Nation­al­park, hier muss einge­grif­f­en wer­den, um die Natur zu erhal­ten. Durch die zahlre­ichen Staudämme ist der Fluss ein ander­er gewor­den. Von weit­en, wenn ich Zeit und Raum auss­chalte, erkenne ich die Brüder und Schwest­ern, der Mis­sis­sip­pi, auch so ein gezähmter, der manch­mal über die Stränge schlägt, aber meist wie ein See daliegt, oder der Ade­laide Riv­er, oben im Nor­den Aus­traliens, mit Krokodilen, die meter­hoch aus dem Wass­er schnellen kön­nen. Und von weit­em sieht ein­er aus wie der andere. Und bei jedem, der weit ent­fer­n­ten, dachte ich an die Donau.

Die Fähre nach Orth liegt drüben am anderen Ufer, dort wo sie zuhause ist, kommt aber bere­itwillig herüber nach Haslau, die Han­dynum­mer, um sie zu holen, ste­ht auf der großen Tafel, und wie lange sie heuer noch fährt.

Die Flieger wählen heute nicht die Strecke über den Neusiedler See, son­dern steuern, die Diret­tis­si­ma über Wien nehmend, Schwechat an. Ich hat­te geglaubt, die Flugzeuge schon von allen Rich­tun­gen gese­hen zu haben, aber heute gibt es neue Ansicht­en. Ich muss an Los Ange­les denken, wo Autos sich unter den lan­den­den Adlern zu Spielzeu­gen ver­wan­deln. Aber das war nicht im Nation­al­park, das war bei der Fahrt dor­thin, wo Niederöster­re­ich für einen Moment zu Los Ange­les wurde und ich fluchte, weil ich nicht mit­ten im Kreisverkehr ste­hen bleiben kon­nte, um den Flieger zu beobacht­en und denn dann war er weg.

_mg_1280-cr2Hun­debe­sitzer und ihre treuen Fre­unde sind mit mir die ersten, die der Donau ent­langlaufen, manche von ihnen sprin­gen noch ins Wass­er hinein und freuen sich, obwohl sie nicht wis­sen, dass es wahrschein­lich das let­zte Mal für dieses Jahr sein wird. Manche Men­schen ste­hen und schauen zu, wie sie sich vergnü­gen, andere laufen mit ihnen, so wie jene, die laufen, weil laufen sie glück­lich macht.

_mg_1294-cr2Und ich gehe runter ans Ufer und bewun­dere die vie­len ver­schiede­nen Steine, sehe Muscheln so groß, wie ich sie nie erwartet hätte und wün­sche mir einen Geolo­gen, der mir die Geschicht­en erzählt von den Steinen, den ganz glat­ten, den schim­mern­den, den einen, die mir erzählen, dass sie sich mit anderen zusam­menge­tan haben, die dun­klen mit den weißen und in der Hitze geformt und jet­zt ganz hart sind. Und die Donau, die ihnen hil­ft, rund zu wer­den und fein anzu­greifen, um sich in Hände zu kuscheln.

_mg_1292-cr2Und manch­mal gibt es Augen­blicke, da ist es ganz still und ich hörte noch Vögel sin­gen. (Auch wenn jene die auf dem Video sin­gen an einem ganz anderen Ort für mich san­gen, so erin­nerte ich mich nun an sie und lass sie meine Bilder begleiten.

Öster­re­ichis­ch­er Nation­alfeiertag im Nation­al­park, ein wenig Sonne, ein bißchen mehr Wolken, gar nicht kalt, aber den Herb­st riecht man, oder vielle­icht ist es nur die Au, das ste­hende Wass­er, die Bäume oder die am Boden liegen­den Blätter.p1010943-001

Und ich habe Steine gepflückt, die an der Donau wach­sen.  Und aus diesen Steinen, sind dann die wun­der­baren  geworden.

Sind sie nicht prachtvolle kleine Kerlchen?

 

Und jet­zt lade ich dich ein, tauch’ ein in ein paar Bilder, die ich an der Donau machen konnte.

 

Ab zu den ersten Menschen in Österreich: Ins Urgeschichtemuseum MAMUZ in Asparn an der Zaya

Mehr als 30 Jahre ist es her, als ich das erste Mal in Asparn an der Zaya war. Damals bei ein­er Exkur­sion eines Studi­ums, das heute Kul­tur- und Sozialan­thro­polo­gie heißt und nicht mehr Eth­nolo­gie wie zu mein­er Zeit. Kein Stein bleibt mehr auf dem anderen. Manch­mal sage ich noch immer Völk­erkunde und es sind die selt­sam­sten Blicke, die ich ernte. Am lieb­sten wäre es mir, von Men­schen zu sprechen und ihren ver­schiede­nen Kul­turen. Aber auch da bleibt der Erk­lärungs­be­darf nicht aus, wenn man den Begriff genauer ansieht. Egal.

Jed­er Schritt, bess­er zu ver­ste­hen, wie alles lebt, führt dahin, tol­er­an­ter zu wer­den. Es hil­ft zu begreifen, dass Unter­schiede zum Leben gehören und sie das eigentlich beson­dere am Leben sind.

Ich bin also mor­gens von einem mod­er­nen Urnen­gräber­feld nach Asparn an der Zaya aufge­brochen. Einem Fried­hof von dem nichts, aber abso­lut nichts übrig bleiben wird, zu einem Muse­um, wo müh­sam Über­reste aus weit ver­gan­genen Tagen zusam­menge­tra­gen wer­den. Was für ein Widerspruch!

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Der ober­ste Stock des Schloss­es ist der ältesten Zeit gewid­met. Unentschlossen begann ich meinen Rundgang und auch im Nach­hinein kann ich nicht sagen, ob der Weg ein zeitlich­es Muster ver­fol­gte. Es waren mehr die Objek­te, die sich zusam­men­fan­den, Grüp­pchen bilde­ten und zu The­menkreisen zusam­mengestellt wur­den. Doch ich will immer mehr. Ich will Geschicht­en. Einzelne Teile, deren Bindeglied „Jung­paläolithikum“ heißt, ist mir zu wenig. Schließlich umfasst jene Zeit einen Rah­men von über 30.000 Jahren, damals als die ersten anatomisch mod­er­nen Men­schen Europa betrat­en. Also suchte ich und wurde nicht enttäuscht.

In den let­zten Jahren kon­nten in Niederöster­re­ich die ältesten Fund­schicht­en der ersten Europäer in Wil­len­dorf nachgewiesen wer­den. Men­schen kamen an diesen Platz, lange bevor Wil­len­dorf gegrün­det wurde. Vor 43.500 Jahre lagerten sie in der Wachau (Das ist der Bericht der Grabung: Ear­ly mod­ern human set­tle­ment of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type envi­ron­ment). Damit ist klar, dass sie min­destens einige tausend Jahre zusam­men mit Nean­der­talern in dieser Region lebten. Neun markante Schicht­en kon­nten Archäolo­gen fest­stellen, die von wech­sel­n­dem Kli­ma erzählen. Also Schicht­en, die dick genug waren, dass sie noch heute her­ausstechen. Wie her­aus­ra­gend dies ist, wurde mir erst klar, dass die ältesten Knochen außer­halb Afrikas 44–46-000 Jahre sind, gefun­den in Sibirien.

Es muss ein guter Platz gewe­sen sein, zum Lagern und sich  für einige Zeit niederzu­lassen. Das Land rund­herum Steppe, geprägt von Gräsern aber noch viel mehr von Kräutern wie Wegerich, Bei­fuß, Schaf­garbe, Chrysan­the­men, Kuh­schellen und Sil­ber­wurz, Mose und Flecht­en bilde­ten Pol­ster, und Hei­dekraut­gewäch­sen bracht­en hin und wieder etwas Farbe in die Land­schaft. In den Flusstälern wie Donau, Thaya oder Krems gab es Nadel­wälder, mit Ficht­en, Kiefern, Tan­nen und Lärchen, schreiben die Wis­senschaftler. Das war neu für mich.

Bish­er hat­te ich immer die Vorstel­lung ein­er Steppe ohne Bäume gehabt, aber ich habe mir meine Bilder von der Prärie in den USA nochmals angeschaut, und gese­hen, dass es in den weit­en Flächen immer wieder Bäume gibt.

Prairie in South Dakota/USA © Ruth Bar­bara Lotter

Die meis­ten Quellen bericht­en nie von Bäu­men, die Steppe wird als reine Grasland­schaft beschrieben. Ich begann nach Kli­ma­dat­en zu suchen, weil mir nicht klar war, welche Unterkün­fte sie gehabt haben kön­nten. Aber Bäume und Mam­mut­knochen geben gute Stützen ab, ob sie nun ähn­lich wie ein Tipi (das wir klas­sisch als Indi­an­erzelt anse­hen, auch dies ist eine Unterkun­ft von Präriebe­wohn­ern, also Men­schen, die in ein­er Steppe wohnen) oder ein Wig­wam (ein Kup­pelzelt) oder der Kote, der Behausung der Samen (die genetisch gese­hen, mit diesen ersten Wild­beutern noch am näch­sten ver­wandt sind), aus­sa­hen, wer­den wir nie erfahren.

Immer wenn es käl­ter wurde, deck­te der Löss alles immer wieder san­ft zu, somit kon­nte es bis heute erhal­ten bleiben. Ich frage mich, wie lange es braucht, bis eine solche Schicht sich bildet. Wenn ich meinen Balkon nicht kehre, bildet sich eine dünne Sand­schicht, kaum sicht­bar. Selb­st wenn der Wind aus der Sahara Sand here­in­we­ht, dann würde es doch lange Zeit brauchen, bis sich 10 Zen­time­ter dicke Schicht­en bilden. Bis zu 40 Meter dicke Schicht­en wer­den in Krems gemessen. Die Schicht­en kön­nen aus jen­em Grund beschrieben wer­den, weil sie unter­schiedliche Fär­bung aufweisen. In sehr kalten Zeit­en ist es rein­er Lös, sehr hell, und in allen wärmeren wurde die Erde dun­kler. Als die aktuelle War­mzeit begann, kon­nte der helle Löss in die dun­kle, sehr frucht­bare Schwarz­erde umge­wan­delt wer­den. Kalt war es damals,die Tem­per­a­turen im Som­mer so wie jet­zt im späten Herb­st. Bis 20° sollen es an einem Hochsom­mertag erre­icht haben, allerd­ings sollen die Win­ter nicht so hart, wie ich erwartete hat­te, gewe­sen sein. Doch das Kli­ma war nicht über mehrere Jahrtausende gle­ich. Es war manch­mal wärmer, manch­mal käl­ter. Meine Bemühun­gen, eine Grafik über das Auf und Ab der Tem­per­a­turen für genau jene Zeit zu find­en, musste ich aufgeben. Ich wollte ein Gefühl für die wech­selvollen Tem­per­a­turen bekom­men, aber ich fand keine Tabelle für diese Zeit. Ich weiß nur, dass es vor 20.200 Jahren erhe­blich käl­ter wurde, bis vor 11700 Jahren (9.700 v.Chr.) die jet­zige War­mzeit begann.

In der Ferne mussten sie es weiß glitzern gese­hen haben, die ver­gletscherten Alpen waren nicht weit ent­fer­nt: nur 40 km waren es bis zu den ersten Gletscherzun­gen. Manche sagen, dass sie die Flus­sland­schaften im Som­mer mieden, denn so wie heute im Nor­den Gelsen­schwärme unerträglich wer­den kön­nen, wäre es damals am Fluss auch gewe­sen. Im Win­ter war die Donau zuge­froren. Sie kon­nten auch auf die andere Seite wech­seln. Da es in den Eiszeit­en trock­en­er war, war das Wet­ter nicht schlecht. So kon­nten son­nige Win­tertage dur­chaus angenehm sein.

Die Felder, die mich im Wein­vier­tel umgaben, helfen mir bei der Vorstel­lung, wie die Land­schaft von damals aus­sah. Sie erin­nern mich aber auch daran, wie sehr in der Zwis­chen­zeit der Men­sch die Land­schaft verän­dert hat, kein Fleck blieb unberührt: Kul­tur­land­schaft ist sie gewor­den. Die Vorstel­lung ein­er Steppe fällt hier um Mis­tel­bach zumin­d­est leichter, als in der Wachau mit ihren Mar­il­len­bäu­men und Wein­stöck­en. Als ich vor eini­gen Jahren in Wil­len­dorf spazierte, versper­rten Büsche und Bäume die Sicht. Aber ich werde noch ein­mal dort hin­fahren, um zu schauen, ob ich mich doch ein wenig in diese älteren Zeit­en zurück­ver­set­zen kann.

Damals zogen Tiere wie Mam­muts oder Ren­tiere in Her­den über die san­ften Hügel, sie fan­den in dieser Kargheit noch immer genug Fut­ter. Mam­muts waren auch die ersten Funde im 15. und 16. Jahrhun­dert, die in dieser Gegend gefun­den wur­den. Auch wenn auf dem Bild Rinder grasen und man sich die Leitun­gen weg­denken muss, kann es von der Ferne so ähn­lich aus­geschaut haben.

Prairie in South Dakota/USA © Ruth Barbara Lotter
Prairie in South Dakota/USA © Ruth Bar­bara Lotter

Diese ersten mod­er­nen Europäer waren Jäger und Samm­ler und aßen viel Fisch, manche Unter­suchun­gen ergaben, dass bei einzel­nen unter­sucht­en Men­schen 40–60% der Nahrung aus Fisch bestand. Sie waren dunkel­häutig und hat­ten blaue Augen, das sagen uns die aktuellen genetis­chen Analy­sen (siehe Film untern mit einem Vor­trag von Johannes Krause). Das muss für uns heute, sehr fremd ausse­hen, wir ken­nen keine blauäugi­gen Schwarze.

Die genetis­che Herkun­ft der Europäer: Migra­tion in der Vorgeschichte

Sie lebten länger in dieser Region, als wir und alle später Ank­om­menden. Die Wachau musste schon damals fre­undlich­er als andere Gegen­den gewe­sen sein. Die hellere Haut­farbe wurde evo­lu­tionär erst bei den Acker­bauern zu einem Vorteil und set­zte sich damals durch, da die bevorzugte Pflanzen­nahrung zu wenig vom wichti­gen Vit­a­min D enthielt.

Eine Vitrine widmete sich Frauenfigurinen, die im Raum Niederösterreich gefunden wurden.

Ich möchte mit der berühmtesten alten Öster­re­icherin begin­nen, der Venus von Wil­len­dorf, auch wenn man sich hier ihr nicht wirk­lich wid­met, gehört sie für mich unverzicht­bar dazu. Sie hat­te ich vor kurzem im Naturhis­torischen Muse­um in Wien besucht. Aber wie so oft, ist für mich ein Objekt, allein für sich gese­hen, recht blut­leer. Ich merke mir wed­er, wann es hergestellt wurde, noch irgendwelche anderen Details. Es sind diese speziellen Momente, die mich reizen, mir ein Bild zu malen. Selb­st die Grafik, die ich schon in Frankre­ich sah, die auf ein­er großen Land­karte die Fund­plätze ver­schieden­er Fig­uri­nen zeigen, erk­lärte mir zu wenig. Es gibt mir ein Gefühl der Gle­ichzeit­igkeit, doch wur­den diese kleinen Frauen­fig­uri­nen über mehrere 10.000 Jahre lang hergestellt. Und ich habe schon Schwierigkeit­en mir eine Dauer von 2000 Jahren vorzustellen. Zu dieser Zeit waren die Römer in ganz Europa und dem Mit­telmeer­raum unter­wegs, das fühlt sich unendlich lang an.

Die Wil­len­dor­ferin ist aus Oolith, einem Kalk­stein aus der Brün­ner Gegend, wie auch andere dort gefun­dene Gegen­stände aus Feuer­stein, der auch von dort stammt, bele­gen. 136 Kilo­me­ter Luftlin­ie oder 32 Stun­den zu Fuß, wie mir Google Maps ver­rät, also eine mehrtägige Wan­derung muss es gewe­sen sein. Für uns schw­er vorstell­bar, wie Men­schen damals zu Fuß in einem so weit­en Raum umher­zo­gen. 29.500 Jahre alt ist die kleine 11 cm große Lady, das ergaben die neuesten Analy­sen der Schicht, in der sie gefun­den wurde. Mehr als 10.000 Jahre nach den ersten Ankömm­lin­gen wurde sie hergestellt.

Eine kleine nachgemachte Venus in mein­er Hand und es fühlt sich gut an, wie dafür gemacht.

Welche Bedeu­tung weib­liche Fig­uri­nen haben, kön­nen wir heute nicht mehr fest­stellen. Aber ich ver­ste­he, dass die Objek­te klein waren, denn so kon­nte man sie mit­nehmen. Wenn du mit deinem ganzen Hab und Gut immer wieder auf­brichst, um den Her­den zu fol­gen oder ein kli­ma­tisch gün­stigeren Ort aufzusuchen, und du alles tra­gen musst, dann wer­den Gegen­stände, die keinen prak­tis­chen Nutzen haben, son­dern einen kul­turellen Hin­ter­grund aus welchem tief­er­en Grund auch immer, eine Größe haben, die unter diesen Umstän­den vernün­ftig ist. Eine lebens­große Stat­ue würde sim­pel keinen Sinn ergeben. Und ich ver­ste­he ja, dass sie auf eine beson­dere, aber sehr mod­erne Weise aus­gestellt wer­den, aber es ist ein sehr dis­tanziertes Aufeinan­dertr­e­f­fen. Als ich sie nun diese Kopie nun zum ersten Mal in meine Hand nahm, und sie nicht nur als Objekt betra­chtete, war ich selt­sam berührt. Ich fühlte mich ver­bun­den mit der Erde und allem, was unser Leben aus­macht. Ich werde sie wohl in Zukun­ft öfter in die Hand nehmen.

Schade, dass die Wil­len­dor­ferin keinen Namen bekom­men hat, wie die Fan­ny von Stratz­ing, diese wird manch­mal auch Venus vom Gal­gen­berg gerufen, aber Fan­ny gefällt mir bess­er. Fan­ny, weil sie aussieht wie eine Tänz­erin und man dachte an Fan­ny Elßler. Den Arm nach oben streckt, sieht sie aus, als ob sie sich um die eigene Achse drehen möchte. Sie ist aus Schiefer hergestellt.

Und sie ist noch ein Stück älter.
Ganze 6.500 Jahre.

Mit 36.000 gehört sie zu den Ältesten all dieser Frauen­stat­uet­ten, die in ganz Europa bis weit nach Rus­s­land hinein geschnitzt wur­den. Dieser Zeitrah­men ist irgend­wie gar nicht mehr vorstellbar.

Es muss immer wieder Zeit­en des Über­fluss gegeben haben oder Zeit­en, wo es nichts anderes zu tun gab, in kalten Win­ternächt­en am flack­ern­den Feuer vielle­icht. Neben den geschnitzten Fig­uri­nen wer­den auch Frag­mente aus Knochen­flöten gefun­den — in Niederöster­re­ich wurde eine 19.000 Jahre alte, doch die älteste fand sich in ein­er Schicht, die auf 31–40.000 Jahre alt datiert wurde, in Deutsch­land in der Schwäbis­chen Alb am “Hohle Fels”. Wer schon mal geschnitzt hat, weiß, ganz so ein­fach ist es nicht. Viel mehr berührt mich, dass sie Musik gemacht haben, wie immer sie auch gek­lun­gen hat. Und heute denken wir darüber nach, die kün­st­lerischen Fäch­er in Schulen gestrichen wer­den. Dabei sind es ger­ade diese Dinge, die mich so berühren, weil sie uns Men­schen so auszeichnen.

Muscheln und Zähne wer­den als Anhänger für Ket­ten ver­wen­det, mit Löch­ern verse­hen an ein Band gehängt als Schmuck mit ein­er per­sön­lichen Bedeu­tung. Schmuck alleine erscheint mir zu triv­ial. Es wird nicht nur schön, son­dern auch mit Inhalt verse­hen sein. Reste von rotem Ock­er (Rötel) wird auf vie­len Gegen­stän­den gefun­den, Rötel ver­wen­de­ten auch Nean­der­taler. Wozu wis­sen wir nicht, es wur­den nur Far­ben­reste gefunden.

Auch die Venus von Wil­len­dorf war ursprünglich mit diesem roten Pul­ver einge­färbt wor­den, oft enthal­ten Muschelschalen diesen Farb­stoff, vielle­icht dien­ten sie als klein­er Farbtopf. Das Leben war also nicht nur vom reinen Über­leben­skampf geprägt, wie man es sich gerne vorstellt. Es wurde gefeiert, Musik gemacht, mit Geschicht­en­erzäh­ler sind sie am Lager­feuer gesessen, jene Men­schen, die die ersten Mythen ent­war­fen, die halfen, die Welt und ihre Zusam­men­hänge zu ver­ste­hen. Ich mag sie nicht Schama­nen nen­nen, aber Men­schen, die vielle­icht spir­ituelle Führer waren. Men­schen macht­en sich hüb­sch mit Perlen aus Muscheln und Elfen­bein. In Rus­s­land wurde ein 30.000 Jahre alte Gräber gefun­den, wo ein Mann mit 3000 Elfen­bein­perlen, die ver­mut­lich Teil der Klei­dung waren, lag. Sie ver­wen­de­ten Far­ben. Ver­mut­lich auch Schwarz der Kohle. Rötel war ein Stoff mit tiefem Hin­ter­grund sein, Rot wie das Blut, vielle­icht­en Sym­bol für das Blut der Erde.

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Ein Grab zweier Säuglinge wurde in Wachtberg/Krems aus­ge­graben, das 32.000 Jahre alt ist. Ein Video der APA berichtet von den Ergeb­nis­sen. Berührt hat mich, wie sie die bei­den gegenüber lagen, als ob sie schlafen wür­den. Sie wur­den dick mit Rötel einge­hüllt und vor­sichtig mit dem Schul­terblatt eines Mam­muts abgedeckt. So kon­nten sie über diese lange Zeit erhal­ten bleiben.

Die Kinder­sterblichkeit war groß und gehörte trotz allem nicht zum All­t­ag. Men­schen trauerten. Skelette von Kindern kön­nen nur an Begräb­nis­stät­ten gefun­den wer­den, zu dünn sind die Knöchelchen, als dass sie so lange Zeit über­dauern. Sie wur­den mit großer Sorgfalt zum let­zten Schlaf meist in Hock­er­stel­lung niedergelegt. Kleine Elfen­bein­perlen zeigen, dass ihnen Wertvolles mit­gegeben wurde, weil sie für die Gesellschaft einen Wert hat­ten. Sie wer­den wahrschein­lich bek­lei­det gewe­sen sein und einge­hüllt in roten Ock­er, der bis heute sicht­bar ist.

Aus Feuer­stein, auch Silex genan­nt, wur­den Werkzeuge hergestellt. Auf irgen­dein­er Reise habe ich einen selt­samen Stein aufge­hoben und mitgenom­men, erst viel später sah ich andere, ähn­liche und ver­stand, dass ich ein Stückchen Feuer­stein mitgenom­men hat­te. Für mich ist es ganz beson­der­er Stein, weil er so wichtig für meine Vor­fahren war.

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Als dann vor 7000 Jahren die ersten Acker­bauern nach Europa kamen, lebten sie neben den Wild­beutern und sie beka­men Kinder. Sie began­nen Kreis­grabenan­la­gen zu erricht­en. Davon näch­ste Woche.

Ich ahnte schon, dass ich irgend­wann wieder einen Infor­ma­tionsover­load bekomme. Aber mein Puz­zle geht weiter:

Meine Reise zum Alten Europa.

Vom Winde verweht

Jules und ich lan­de­ten also am Rande der Leis­er Bergen. Geplant hat­te ich das nicht. Ich wollte schauen, wo mich Jules hin­führt. Ich selb­st hat­te schon total vergessen, dass es diese Berge gibt und als Tirol­er hätte ich diese Hügelkette auch nicht wirk­lich Berge genan­nt. 491 Meter ist die höch­ste Erhe­bung, Inns­bruck, wo ich aufgewach­sen bin, liegt 83 Meter höher. Und von Laden­dorf hat­te ich erst recht noch nichts gehört.

Leiser Berge

Wie viele andere Dör­fer hier schmiegt es sich in den Tal­grund, denn 200 Meter weit­er oben bläst oft ein heftiger Wind. Als ich die kleine Straße abbog, dem Hin­weiss­child fol­gend, dass dort ein Park­platz sei, wun­derte ich mich zwar, dachte aber, nie­mand wäre bei diesem Sturm dort oben. Doch alle Plätze waren beset­zt. Also stellte ich mich nebe­nan unter ein riesige Betonkreuz, das ich schon von weit­em gese­hen hatte.

_mg_0926-cr2-001Als dann die ersten bei­den Musikan­ten kamen, fragte ich mich, was an einem Fre­ita­gnach­mit­tag bei diesem Wet­ter so wichtig wäre, dass man sich diesem Wet­ter so aus­set­zt. Der Pfar­rer grüßte mich als Einziger fre­undlich, die dunkel gek­lei­de­ten, ern­sten Men­schen sahen mich nicht und unter­hiel­ten sich, alle sehr würde­voll und gedämpft, während ich sie vom Auto aus beobachtete und mich fragte, was sie hier tat­en. Denn der Wind blies ungemütlich und kalt, es war nicht ger­ade der ide­ale Moment, um auf ein­er Hügel­spitze rumzustehen.

Bald waren alle weg und ich suchte ein besseres Plätzchen für Jules, denn der Park­platz war nun leer, ich zog mir die Mütze tief in die Stirn und schloß den Reisver­schluss und wick­elte die Jacke eng um mich, stieg aus und plöt­zlich ergab alles einen Sinn.
Es ist ein Plätzchen, wo Men­schen ihre Asche der Erde wiedergeben kön­nen. Auf einem Schild stand, dass hier ein Urnen­fried­hof war. Sie waren zu einem Begräb­nis gekom­men. Die Aschen von Ver­stor­be­nen in ver­rot­tbaren Urnen wur­den hier ver­graben mit freiem Blick auf Son­nenauf- und Unter­gang. Wie hier in der Gegend vor 3000 Jahren Bronzeur­nen ver­graben wur­den, nur dass von diesen Urnen nichts mehr übrig bleiben wird. Archäolo­gen wer­den hier nichts anderes find­en als Über­reste dieses Riesenkreuzes.

_mg_0930-cr2Selt­sam fühlt sich dieser Platz an. Ich zwei­fle nicht, dass die Toten hier Frieden find­en, auch zwei­fle ich nicht, dass die Art und Weise beruhi­gend ist. Selt­sam ist, dass die Wiese so nackt am ober­sten Punkt liegt, keine schützen­den Bäume oder Büsche, die Stelle so aus­ge­set­zt, dass einzelne Pflanzen, die geset­zt wur­den, inzwis­chen ver­dor­rt sind. Der Gewalt des Wet­ters zu heftig aus­ge­set­zt, ist der Ort. Vielle­icht war aber auch nur das Wet­ter nicht das Richtige. Das Foto erscheint selt­sam, aber es gab tat­säch­lich nicht viel mehr zu sehen. Das ist der Weg, der neben dem Fried­hof vor­bei führt.

Den einzi­gen Wider­stand bildet das Frieden­skreuz, wie sie zu dem Beton­mon­u­ment sagen. Es ste­ht so fest, dass der Sturm verge­blich an ihm rüttelt.

_mg_0931-cr2-001Auf den Hügeln am Hor­i­zont sah ich zwei Gebäude, die wie ein Obser­va­to­ri­um ausse­hen, aber ich erin­nerte mich daran, dass sie vielle­icht nicht so roman­tis­che Hin­ter­gründe haben kön­nten. Ich begann zu recher­chieren: Luftraumüberwachung, die mil­itärische und zivile wird in diesen zwei überdi­men­sion­alen Golf­bällen betrieben. Von der Gold­haube war in mein­er Jugend oft die Rede, heute hört man nur mehr bei drama­tis­chen Aus­fällen von Radarsta­tio­nen von der Luftraumüberwachung. Von der Gold­haube wer­den junge Men­schen wahrschein­lich noch nie gehört haben. Auf dem Bild sieht man in weit­er Ferne, einen der bei­den Türme.

Doch Laden­dorf berührt mich auch, denn neben dem Kreuz ist auf der einen Seite nicht nur der Urnen­fried­hof, son­dern auf der anderen noch eine Wiese mit ein­er kleinen Schre­ber­garten­hütte, wie mein Vater eine hat­te. Es ist der Grillplatz mit einem Unter­schlupf im Trock­e­nen, der allen zur Ver­fü­gung ste­ht. Anmelden müsste man es nur und bei einem Wet­ter wie heute, darf kein Feuer gemacht wer­den. Dass dort gefeiert wird, sehe ich an den Über­resten im Abfall­eimer: voll bis oben hin mit Dosen.

_mg_0940Mein Traum vom witzverzäh­lende Apos­tel wurde sicher­lich lebendig wegen der Kun­stin­stal­la­tio­nen, wo neben Auszü­gen des Evan­geli­ums auch Gedichte, die zur Land­schaft passten, standen. Es sind Tafeln von Heinz Cibul­ka, die am Med­i­ta­tion­sweg, der zum Frieden­skreuz, dem höch­sten Punkt von Laden­dorf, führt, aufgestellt sind.

Ob in der Nacht tat­säch­lich jemand an der Tür rüt­telte, oder nur ein noch heftiger Wind­stoß das Auto beutelte, kann ich nicht sagen, ich bin aufgewacht, aber ich war nicht beun­ruhigt und bin gle­ich wieder eingeschlafen. Der Sturm begleit­ete uns die ganze Nacht und immer wieder ver­suchte er heftig, mich zu erschüt­tern. Er war am Mor­gen noch immer so wütend, dass der Mann, der seinen Hund aus­führte, seine Kapuze ganz tief ins Gesicht gezo­gen hat­te, um unbe­merkt den Weg ent­lang gehen zu kön­nen, und deshalb auch mich kaum eines Blick­es würdigte. Die Sonne kam zöger­lich hin­ter Wolken zum Vorschein.

Nach meinem ersten Kaf­fee, den ich in Jules kochte, war ich in 10 Minuten in Asparn an der Zaya.

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Wir fahren los! Endlich!

Mir per­sön­lich ist es ja nicht ganz so wichtig, wohin wir fahren, Haupt­sache wir fahren.

Als wir gestern aufge­brochen sind, hat sie mir schon gesagt, dass wir „dien­stlich­es“ zu erledi­gen haben. Ein Him­mel muss her, meint sie, als ob da nicht genü­gend Him­mel über uns wäre. Zum Fet­zen­müller in Bruck und was besorgt sie, einen Him­mel wie aus ein­er dün­nen Nebelschicht, nicht blau nicht weiß, ein zartes hell­grau, aber ich müsste noch warten, meinte sie, bis sie in mir anziehen wird. Und im Kün­stlerbe­darf will sie auch noch vor­beis­chauen, eine Jause wäre auch nicht schlecht, sagt sie.

Haupt­sache wir fahren. Und sie staunt. Wir sind noch immer zu schnell unter­wegs, wirft sie ein. Viel zu viele Dinge wür­den wir noch links liegen lassen.

Der Föhn ist angesichts der Jahreszeit nur für Mete­o­rolo­gen warm, aber der Sturm passt zum Herb­st. Manch­mal rüt­telt er auch an mir. Die Bäume in ihren vie­len Far­ben lassen sich zum Tanz ein­laden. Sil­bern glänzen die Blät­ter der Pap­peln und streck­en ihre Äste hin­auf und stre­icheln den hell­blauen Him­mel zart. Manch­mal sieht es so aus, als ob sie die Wolken zeich­nen und die lan­gen Fäden ziehen. Hin und wieder mis­chen sich rote Blät­ter in den Sil­ber­haufen hinein. Aber es sind auch orange, gelbe und immer noch viele grüne zwis­chen­durch dabei, die nicht aufgeben wollen, das Jahr zu ver­längern. Alle tanzen zum Lied des Winds. Irgend­wie wäre es schön, mit ihnen tanzen zu kön­nen. Die Arme nach oben gerichtet, der Melodie des Sturms folgen.

Noch sind wir auf der Auto­bahn, der Tow­er des Flughafens links und rechts eine ganz andere Welt: Alt­wass­er der Donau, die passend zu den Bäu­men sil­bern glänzen. Die Flieger haben immer so viel Aufmerk­samkeit auf sich gezo­gen, dass sie, die Au, noch bevor ich in ihr Leben kam, nicht wirk­lich wahrgenom­men hat. Aber nun sitzt sie höher und sieht mehr und plöt­zlich ist die Welt eine andere. Als sie Tage später nach­sieht, stellt sie fest, dass sie tat­säch­lich einen Teil des Nation­al­parks Donau-Auen gese­hen hatte._mg_1114

Endlich geht es rauf ins Wein­vier­tel. Wir leg­en eine Pause ein und schauen zu, wie Stare vom Wind getrieben in Kreisen über ein Feld wirbeln. Anfangs ist uns nur ihr rhyth­mis­che Auf und Ab aufge­fall­en, sie set­zen sich und lassen sich dann vom Wind wieder hin­auftreiben, hun­dert, zwei­hun­dert, viel zu viele, um sie zu zählen. Ein Vogel­bal­let. Etwas erin­nert an die riesi­gen Fis­chschwärme, die durch ihre Kreise riesige Türme im Wass­er bilden. Aber die Stare sind flex­i­bler, ihre Flug­bah­nen bilden Wellen, an ein­er Stelle klein, an der näch­sten brausen sie wieder groß auf, set­zen sich wieder, warten auf die näch­ste Böe, um das Spiel von Neuem zu begin­nen. Erst später sehen wir, dass sie ihr Spiel mit einem Bauern treiben, der seine Furchen mit dem Trak­tor in den Ack­er zieht. Damit ihm das Pflü­gen der ger­aden Bah­nen nicht lang­weilig wird, spie­len sie mit ihm._mg_0918-cr2

Wir fahren an braune Bergen vor­bei. Zuck­er­rüben tür­men sich. Die Ernte ver­rät, wie wichtig den Men­schen das süße Leben gewor­den ist. Ein ganz­er Zug, fünf/sechs Wag­ons, ist bis oben hin gefüllt und am Platz davor liegen noch etliche Rüben wie Steine wirr herum.

Die Lady vom Nav­i­ga­tion­ssys­tem ist inzwis­chen völ­lig ver­wirrt. Kreisverkehre von denen sie nichts weiß, Umleitun­gen, die es notwendig machen ihren Anweisun­gen nicht zu fol­gen, die kleinen Hin­weiss­childe ver­wirren aber auch meine Fahrerin, wir kreisen verzweifelt zwis­chen ihren Anweisun­gen und unseren Bemühun­gen den Weg nach Asparn an der Zaya zu find­en. Als wir endlich dort ange­langt sind, find­en wir alle, dass wir lieber mor­gen ins Muse­um schauen. Land­luft schnup­pern und vor allem ein Plätzchen für die Nacht find­en. Wir fahren. Und ver­wun­dert mit­ten im Nichts Hin­weiss­childe für einen Park­platz zu find­en, fahren wir einen Hügel rauf. Wo wir gelandet sind, wird euch Ruth selb­st verraten.

Inzwis­chen jam­mert sie ein wenig herum. Alles ist abso­lut neu. Nichts Rou­tine, über­all holpert es. Kühlbox neu, Herd neu, Bett noch unberührt. Sie bewegt sich ziem­lich hil­f­los in meinen Eingewei­den herum, dabei hat sie gar nicht so viel zur Auswahl, ein­mal vor und zurück. Aber sie weiß noch nicht, wann es gün­stig ist, unter Bänke zu schauen, was sie wo wann her­ausholt oder hin­räumt, damit es richtig gemütlich wird. Ich selb­st ver­ste­he allerd­ings nicht, was es da zu jam­mern gibt.

Die erste Nacht begin­nt viel früher als geplant, denn ihr wurde zwar ver­rat­en, dass das Licht nach 45 Minuten aus­ge­ht, es sich aber nicht ein­fach durch Ein- und wieder Öff­nen ein­schal­ten läßt, Türe auf, aber es braucht noch einen Tag, bis sie es ver­ste­ht. In der Zwis­chen­zeit ist sie froh, das winzige Lichtlein eingepackt zu haben, um nicht dauern mit meinen Schlössern Tür auf zu spie­len. Bald schläft sie ein, müde von den vie­len Aben­teuern, die sie mit mir erlebt hat.

Sie ist schon ein wenig ver­rückt, in der Nacht wachte sie auf, weil sie von einem Witz träumte, über den sie so lachen musste, dass sie sich ihn unbe­d­ingt merken wollte. Sie wacht son­st nie auf, Träume sind Schäume, sagt sie. Und weg war er, so schnell kon­nte sie gar nicht aufwachen. Sie wollte ihn mir so gerne erzählen. Irgen­dein Apos­tel hat ihn ihr erzählt. Was gut zu der Umge­bung passt, wo wir die Nacht ver­bracht haben. _mg_0985-cr2

Am Mor­gen ste­ht sie auf, um der Sonne beim Erwachen zuzuse­hen, kocht ihren ersten Kaf­fee, hil­ft mir bei den ersten Noti­zen, bevor wir ins Muse­um aufbrechen.

Urlaub vorkosten: Ein bisserl Stonehenge ums Eck besuchen

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Ein Muse­ums­be­such kann manch­mal eine wun­der­bare Ersatzhand­lung sein. Statt Stone­henge zu besuchen, lerne ich ein wenig darüber und drumherum. Ich reise mit mein­er Fan­tasie nicht nur in andere Gegen­den son­dern auch in eine andere Zeit zu anderen Men­schen, Men­schen, die irgend­wo auch meine Vor­fahren waren.

Da bis 27.11.2016 im Mamuz in Mistelbach/Niederösterreich  eine Ausstel­lung über Stone­henge läuft, habe ich mich aufgemacht und mir die Ausstel­lung angeschaut. 3 Stun­den bin ich herum gegan­gen, habe mir alle Videos angeschaut, habe manch­mal bei Führun­gen zuge­hört, habe mich neben eine gelang­weilte 17-Jährige geset­zt und ihr von Reisen erzählt und eine mein­er Lieblings­geschicht­en, die ich schon Lau­ra von den Ahousat erzählt hat­te, aus­gepackt. Es ist eine Geschichte vom Anbe­ginn der Zeit.

Einen Tag später habe ich verzweifelt ver­sucht, alle Fra­gen, naja ziem­lich viele, zumin­d­est solche, die auch beant­wortet wer­den kön­nen, durch Lesen und Schauen und Hören zu lösen.

Langsam klären sich Dinge, die für mich noch offen geblieben sind. Wahrschein­lich ist es ein­fach meine Aus­bil­dung als Eth­nolo­gin, dass ich erst mal ein wenig über die Leute wis­sen will, denn son­st kön­nten es wohl auch Außerirdis­che sein, die Steine auf­stellen (wozu sollen Außerirdis­che soweit reisen, um dann sinn­los Steine anzuhäufen?) und dann wäre es mir ziem­lich egal. Aber Men­schen inter­essieren mich. Die Kleine neben mir hat mich gefragt, ob ich, wenn es möglich wäre, zum Mars fliegen wollte. Zu mein­er eige­nen Über­raschung verneinte ich blitzschnell. Es gibt so vieles, was ich hier noch zu ler­nen und zu ver­ste­hen habe, und der Mars hat nichts davon.

Es ist das Leben, unser Leben, von dem ich nicht satt werde, mehr zu erfahren.

Wer waren also die Men­schen, die so viel Zeit hat­ten, etwas Riesiges, Gewaltiges, beina­he Überirdis­ches aufzustellen?

Es waren Bauern, die ersten in Europa. Die aus Ana­tolien kamen, Ger­ste und Weizen, genau genom­men wird es Einko­rn oder Emmer gewe­sen sein, in den Taschen mit­brin­gend, Schafe und Ziegen vor sich hertreibend, die es vorher in Mit­teleu­ropa nicht gegeben hat, Rinder und Schweine, die es hier schon gab, aber nicht für den Haus­ge­brauch gezähmt, nicht zu vergessen. Dank der Genetik ist eines klar, es gab keinen Kul­tur­trans­fer, son­dern Men­schen kamen und bracht­en ihre Kul­tur mit. Die Sar­den haben heute noch am meis­ten Gene mit diesen ersten Migranten gemein, sind genetisch also noch am meis­ten mit diesen alten ana­tolis­chen Bauern ver­wandt. So wie Ötzi mit diesen genetisch ver­bun­den war. Die Sar­den und Ötzi waren mit den Migranten, den Viehzüchtern und Acker­bauern  aus Ana­tolien ver­wandt. Und die Jäger und Samm­ler, die die ersten Flüchtlinge aus Afri­ka waren, lebten noch sehr lange Zeit neben ihnen. Und sie sahen so aus, wie heute nie­mand mehr aussieht, die waren dunkel, sie waren Schwarze mit blauen Augen. Das erzählen zumin­d­est ihre Gene. (Und die Nean­der­taler eben­so, auch wenn sie in Museen ganz anders auss­chauen) Die ersten Europäer waren, wie alle späteren auch, Afrikan­er. Das Vit­a­min D der Sonne braucht­en allerd­ings erst die Bauern, die sich haupt­säch­lich veg­e­tarisch ernährten, Joghurt und Käse vielle­icht, hin und wieder mal Fleisch, aber viel zu wenig und sie wur­den weiß. Aber die Milch vertru­gen sie damals auch nicht. Joghurt und Käse besitzen kaum Milchzuck­er. Milchtrinken ist wohl das Urtyp­is­chte der Europäer. Alles andere kann disku­tiert werden.

Johannes Krause vom Max-Planck-Insti­tut für Men­schheits­geschichte erzählt es sehr begeis­tert und anschaulich und mir macht es riesi­gen Spaß, die Geschwindigkeit wie durch die Genetik die alten Inter­pre­ta­tio­nen der His­torik­er durcheinan­der geschüt­telt wer­den. Er kann Geschicht­en erzählen. Die andere Forsch­er dieser Vor­tragsrei­he fes­seln mehr durch Inhalt nicht durch Vor­trag. Und mit Amüse­ment stelle ich fest, wie manchen die Ergeb­nisse der Genetik nicht gefall­en, denn es passt nicht zu ihren Theorien.

Bevor diese Migranten aus dem Süden kamen, sah es in Großbri­tan­niens anders aus. Die Insel war bewaldet, es wuch­sen Kiefern, Eichen, Buchen, Erlen und Pap­peln. Dazwis­chen gediehen Gräs­er, Kräuter und ein paar Büsche wer­den wohl auch dazwis­chen gewe­sen sein. Als Nach­we­hen der Eiszeit gab es Step­pen­land­schaften, die sich wohl mit der zunehmenden Wärme in den Nor­den zurück­zo­gen. In den Wäldern lebten Wölfe, Aue­rochsen, Hirsche, Moorhüh­n­er und zahlre­iche Nagetiere. Erst die Acker­bauern fäll­ten Bäume, und ihre Ziegen, Schafe und Rinder ver­hin­derten, dass der Wald zurück­kam. Die ältesten Funde gehen auf 6000 v.Chr. zurück. Sie macht­en Europa zu dem, das wir ken­nen. Statt eines riesi­gen undurch­dringlichen Waldes wird das Land offen.

Es war keine Ver­bre­itung der kul­turellen Tech­nik des Acker­baus und der Viehzucht, son­dern es waren die Men­schen, die sel­ber kamen und was mit­bracht­en. Und sie kamen langsam. Viele 100 Jahre, ja 1000e Jahre vergin­gen, bis sie sich von Nor­dana­tolien über die Donau, Ital­ien und Spanien in den Nor­den bewegten. Es waren genetis­che Unter­suchun­gen, die ergaben, dass die ersten Europäer, die vor 40.000 Jahren kamen und als Samm­ler und Jäger lebten, sich genetisch von den Acker­bauern unter­schieden. Was mich immer noch verblüfft (was mit großer Leichtigkeit geschrieben wird), die kamen auch auf die iberische Hal­binsel und Südi­tal­ien. Mit Booten? Sind sie da Nordafri­ka ent­lang gekom­men? Nicht nur Bauern, son­dern auch Seeleute? Mich erstaunt dies noch immer, erk­lärt mir aber ander­er­seits auch, wie sie nach Großbri­tan­nien kamen, denn, als sie kamen, war die Insel zu Insel gewor­den. Die Jäger und Samm­ler kamen noch trock­e­nen Fußes dorthin.

Diese neuen Forschungsmeth­o­d­en wirbeln ganz nett die alten Vorstel­lun­gen durcheinan­der, hal­ten mich auf Trab, denn ich schau inzwis­chen immer nach, ob es neuere Erken­nt­nisse gibt. Das Max-Planck-Insti­tut für Men­schheits­geschichte ist da eine gute Adresse. 

Es waren also Bauern, die die Wälder rode­ten und die ersten hölz­er­nen Henges aus dick­en alten Eichen­stäm­men errichteten. Diese ersten Bauern began­nen in ganz Europa Stein­mon­u­mente zu erricht­en, und zugle­ich verän­derten sie das Land mas­siv. Die dun­klen Wälder ver­schwan­den langsam aber sich­er. Der Men­sch verän­dert das Land mas­siv und zwar seit es sie gibt und sie sich über den Erd­ball aus­bre­it­en. Selb­st die Abo­rig­ines verän­derten das Land mas­siv durch Bran­dro­dun­gen. Men­schen verän­dern die Welt, immer schon.

Und der Men­sch wird sich sein­er selb­st bewusst, aber auch über das Unberechen­bare und schafft Begrün­dun­gen für Unerk­lär­lich­es. Daran hält er sich fest und es gibt im Sicher­heit. So ent­standen die ersten spir­ituellen Plätze.

In der Nähe von Stone­henge gibt es warme Quellen. Diesen Gewäss­er frieren nie zu, das bedeutet, dass Tiere auch im Win­ter dor­thin zogen. Sel­tene Rotal­gen wach­sen dort und nimmt man einen Stein her­aus, ver­färbt er sich während des Trock­nens in ein wildes Pink. Aber ob warm oder kalt, Quellen haben Men­schen immer schon fasziniert. Selb­st heute sind sie Ziel für und Ort von Erschei­n­un­gen. Wass­er gehört irgend­wie dazu, ob es die Taufe ist oder bei Mariener­schei­n­un­gen wie in Lourdes.

Irgend­wie habe ich den Ein­druck, dass die Archäolo­gen bei spir­ituellen Plätzen sich sehr an die materielle Kul­tur anlehnen. Viele alte Kirch­leins ste­hen auf noch älteren Kult­plätzen. Soll hier der einzige Grund jen­er sein, dass vorher auch schon etwas Religiös­es dort war? Oder vielle­icht gibt es bes­timmte Kräfte, die wir heute noch nicht messen kön­nen, so wie der Strom vor 200 Jahren etwas Magis­ches war.

In diesen offe­nen Flächen begin­nen sie riesige Mon­u­mente zu erricht­en, aus Holz Kreis­grabenan­la­gen, Steinkreise wie in Stone­henge, Men­hire, Dol­men. Was mich dabei fasziniert ist nicht nur, die tech­nis­che Begabung, die wir uns noch immer nicht ganz erk­lären kön­nen (Steine von weit her trans­portieren, das Aufricht­en, das Ineinan­der­fü­gen der viele Ton­nen schw­eren Steine…), son­dern auch der geistige (spir­ituelle) Hin­ter­grund, von dem wir nur ahnen kön­nen, was er sein kön­nte, aber auch wie viele Men­schen so viel Zeit opfern kon­nten, um diese Plätze zu dem zu machen, was sie sind. Es muss auch Über­fluss gegeben haben, denn das Essen und Trinken geht immer noch vor.

Alles erzählt uns etwas. Ich komme ins Schmun­zeln bei den vie­len The­o­rien. Warum denken sie so kompliziert?

Jahreszyklen sind für Bauern immer wichtig gewe­sen (siehe Bauernkalen­der), die dun­kle Jahreszeit grim­mig (siehe Per­cht­en in Salzburg und Tirol), das Gedenken an Ahnen (Aller­heili­gen und Allersee­len) in jed­er Kul­tur vorhan­den, das Ver­bun­den­sein ver­schieden­er Kult­plätze durch Wege (ob Jakob­sweg oder das Pil­gern nach Mari­azell) lange Tra­di­tion in vie­len Gesellschaften.

Vor 5100 Jahren began­nen Men­schen einen ersten Wall zu errichten.

Stone­henge stand von 3100 v. Chr. bis 1600 v. Chr. in Ver­wen­dung, verän­derte sich immer wieder, was ver­wun­dert erwäh­nt wird. Es sind 1500 Jahre. Was haben wir heute mit den Men­schen von 6. Jahrhun­dert gemein­sam? Wir haben keine Idee. Wir wür­den ihre Sprache nicht ver­ste­hen und das Essen würde uns wahrschein­lich auch nicht schmeck­en. Das ist ver­dammt lange her und in unser­er Kul­tur gab es Schrift, um Dinge fes­thal­ten zu kön­nen. Klar haben sich Bedeu­tun­gen und Rit­uale verän­dert. Wir feiern heute die Messe auch nicht mehr so, wie vor 100 Jahren. Wenn es nicht irgendw­er aufgeschrieben hätte, wir wüssten es nicht mehr.

Span­nend finde ich auch, dass es ein weit größeres Are­al umfasst. Dur­ring­ton Walls liegt 3,2 km ent­fer­nt, dort haben die Forsch­er der Lud­wig Boltz­mann Insti­tuts und der Uni­ver­sität Birm­ing­ham einen viel älteren Henge gefun­den. Die gesamte Gegend ist durch­zo­gen von ver­schiede­nen Ritualplätzen.

Was ich beim Besuch des Muse­ums gel­ernt habe, ist, dass meine Neugi­er unendlich groß ist, ich immer mehr wis­sen will, es immer noch etwas gibt, das ich ver­ste­hen will. Ich kann das Mys­ter­iöse ein­fach ste­hen lassen. Sein-lassen. Alte Plätze als Orte, der den Vor­fahren heilig war, als solchen annehmen. Ein Raum, dem ich mich nähere mit der Achtung vor ver­schiede­nen Religionsbildern.

Sie dienen immer dazu, das Unbe­grei­fliche fassen zu kön­nen. Und alle wis­sen, wir kön­nen es nicht. Glaube ist unan­greif­bar. Nur Ver­nun­ft und Weisheit ist ein guter Fre­und. Denn es bleibt uns nichts anderes als Respekt und Wertschätzung. Vielle­icht wäre heute wichtiger als alles andere, dass wir uns gegen­seit­ig respek­tieren. Son­st scheit­ern wir beim Men­sch­sein. Oft genug sind wir nicht fähig, das Glaubens­bild ander­er ste­hen zu lassen, ohne Wer­tung und Verurteilung. Wenn alle mit diesen Bildern so umge­hen, dann ist die Welt gerettet.