Auf der Fahrt nach Tirol

Nach dem der let­zte Win­ter nicht aufhören wollte, war die Sehn­sucht nach Früh­ling unendlich groß. Umso verza­ubert­er war ich, als ich über die Alland auf die Wes­t­au­to­bahn fuhr. Die Leichtigkeit des Wiener Waldes hat es mir schon immer ange­tan. Laub­bäume lassen meine Seele fliegen, da ist immer ein Weg frei in den Him­mel. Doch dies­mal ist er beson­ders reizend. Die Bäume wachen zu unter­schiedlichen Zeit­en auf, da gibt qua­si die Mor­gen­men­schen unter ihnen, die qui­etschvergnügt ihre weißen Blüten tra­gen, irgendwelche Wild­kirschen kön­nten es sein. Die anderen tra­gen ein Hell­grün, das so blendet, dass ich fast glauben möchte, dass sie die Son­nen­strahlen spiegeln, so leucht­en sie.

Wieder andere haben ihr Grün mit etwas Braun gedämpft. Dann sind noch die Abend­men­schen bzw. Spä­tauf­ste­her. Sie sahen von der Ferne so wie die let­zten Monate aus. Kein Blatt rührt sich. Vielle­icht hätte ich kleine Knospen gese­hen, wenn ich näher gekom­men wäre. 20130425-070225.jpg Der Früh­ling erscheint mir so oder so eine Jahreszeit zu sein, die es mag, wenn man näher kommt. Leberblüm­chen und Buschwin­dröschen sind die ersten Boten, und das Bild mag lächer­lich erscheinen, sie kom­men ganz still und über Nacht über­raschen sie nach den Win­ter­monat­en, wenn die Sehn­sucht nach Wärme einen langsam erfasst hat. Mit diesem Vorstel­lung im Herzen ver­ab­schiedete ich mich von Zuhause und ich freute mich, damit auf reisen zu gehen. Es erlaubte mir auch, die Unter­schiede genauer wahrzunehmen, je weit­er ich in den West­en kam.

Denn die dun­klen Nadel­bäume auf den Bergen links und rechts des Inntales nehmen viel von der Luftigkeit, die ich noch weit­er im Osten ver­spürte. Die Lärchen schlafen noch, nur vere­inzelte Birken mal­ten einzelne hell­grüne Fleck­en in die Wälder. Aber ich ent­deck­te, wie die Auto­bahn sich neben dem Inn dahin schlän­gelte, dass links und rechts des Inns die hellen verträumten Laub­wälder standen. Sie waren es, die hier die Son­nen­strahlen ein­fin­gen. Es mag lächer­lich klin­gen, aber es ist dieses Fak­tis­che der Berge, mit dem sie sagen, hier bin ich, du Men­sch bekommst mich hier nicht so schnell weg, die mich manch­mal bedrückt._MG_6240 Deshalb liebe ich Berge am Meer, denn auf ein­er Seite geht der Blick immer frei ins Unendliche. Eine Erin­nerung aus mein­er Jugend kommt plöt­zlich hoch, die mir sagt, wenn in Tirol die Sonne scheint, die Berge noch angezuck­ert sind, alles bere­it für ein Touris­mus­prospekt, dann ist’s mir zuviel. Die Schön­heit wird zur Auf­dringlichkeit. Du kannst nicht wegschauen. Ist das nun gut oder schlecht? Ich weiß es nicht.

Der Him­mel ist nicht mehr so strahlend wie gestern, doch ein wenig von den auss­chla­gen­den Bäu­men kon­nte ich den­noch festhalten.

Mein Weg nach Europa (2) Uluru

Bevor die Erwartun­gen ins Uner­messliche steigen — nein, ich habe nichts beson­deres gese­hen, geschweige denn ent­deckt. Die Fels­malereien, die ich am Ulu­ru zu sehen bekam, standen am Anfang der Umrun­dung und uns wurde erzählt, dass es sich hier mehr um eine etwas größere Tafel han­delt. Hier wurde unter­richtet, ver­schiedene Dinge erklärt.

Die wirk­lich geheimen Plätze habe ich nicht gese­hen, denn ca. 1/3 dieses ein­ma­li­gen Berges mussten wir ziem­lich ent­fer­nt umkreisen, da wir von einem Sacred Place der Män­ner, in einen anderen der Frauen wan­derten. Die Blicke auf den Berg, die mich am meis­ten faszinierten, kon­nte ich also nicht ein­fan­gen, da wir an diesen Stellen auch gebeten wur­den, nicht zu fotografieren.

Aber es ist ein schön­er Anlass, sich an meinen Besuch damals zu erinnern.

Bevor es losging

Ich bin wieder ein­mal einige Wochen auf großer Tour, nur dies­mal starte ich bere­its mit dem Auto. Und ein Auto ist ein großer Ver­führer, da kann man alles hinein­tun, nichts muss man tra­gen. Trotz­dem hat mich einen Tag bevor ich los­fuhr, hab ich mich hinge­set­zt und nochmals reduziert. Büch­er sind raus­ge­wan­dert, ebooks wur­den geladen. Ladegeräte wur­den aus­gemis­tet, ich habe ja viel Spielzeug mit mir, von Fotoap­pa­rat ange­fan­gen, über net­book, bis zu einem Auf­nah­megerät. Wenn du dich fragst, wozu ein Auf­nah­megerät? Da war das Rauschen des Meeres in Kali­fornien, oder die Vielfalt der Vögel Aus­traliens, selb­st den Regen des Mon­suns in Dar­win habe ich festgehalten.
Aber auch Zelt und Schlaf­sack wan­derten in meine Lucille, das ist mein klein­er Twingo, und füll­ten meinen kleinen Kof­fer­raum schnurstracks. Statt des Reise­hand­tuchs, nahm ich ein großes mit. Da ich vom AAAA, dem amerikanis­chen Aut­o­fahrer-Klub so beein­druckt war, holte ich nun auch gratis
Karten beim ÖAMTC und das Auto­bah­n­pick­erl für die Schweiz.
Unter­wegs schaute ich noch bei ein­er Fre­undin vor­bei, sie pflegt mein Basi­likum ( wie auch immer, entwed­er auf Tomat­en und ähn­lichem oder lässt es wach­sen. Genieß es und lass es dir schmecken!)
Meine erste Sta­tion ist nun Inns­bruck, ich hab hier noch einige Dinge zu erledi­gen, und natür­lich Fre­unde zu treffen.

Mein Weg nach Europa: 1. Station: Yourambulla Caves — Flinders Ranges

Yourambulla CavesDie ersten Wand­malereien, die ich zu sehen bekam, befand sich in Südaus­tralien in der Nähe der Flinders Ranges. Es sind keine tiefen Höhlen, son­dern mehr Über­hänge, an denen sym­bol­is­che, graphis­che Darstel­lun­gen zu sehen sind. Unser Guide erzählte uns, dass es sich hier um einen heili­gen Platz der Män­ner han­delt (“a male sacred place”) Was die Darstel­lun­gen bedeuten, erfuhr ich nicht. Viele Malereien der Abo­rig­ines sind Beschrei­bun­gen von Land­schaften. Die Stelle ist wun­der­schön gele­gen und der Felsab­hang, aus ver­schiede­nen Stof­fen zusam­menge­set­zt, erscheint wie ein gemal­ter Vorhang.

Wie immer bei den Heili­gen Plätzen der Män­ner fühlte ich mich nicht sehr wohl. Ich fand es nicht passend, nicht nur als Touristin son­dern auch noch als Frau zu diesen Orten zu gehen. Jet­zt im Nach­hinein kön­nte ich nicht sagen, ob ich Heilige Plätzen von Frauen gese­hen habe. Es gab nur einige Stellen, wo ich nicht sagen kon­nte, wem sie heilig sind.

Die Geschichte zu diesen Höhlen bzw. den zwei Hügeln, wo sich diese Malereien befind­en, ist folgende:
“In Adnya­math­anha leg­end two men of dif­fer­ent kin­ship, “arraru” and “math­ari”, camped where the two peaks now stand, to eat part of a man they were car­ry­ing. It is thought that the small­er peak is the “math­ari” man and that the larg­er the “arraru” man.”IMG_7288

Der Hügel, der auf diesem Foto abge­bildet ist, ist der größere, während ich auf dem kleinerem im Schat­ten dieses Bild auf­nahm. Auf dem Kleineren sind allerd­ings die Wand­malereien zu find­en, die, wie man auf keinem Foto sehen kann, durch dicke Git­ter “geschützt” werden.

Das Inter­es­sante an dieser Land­schaft ist, dass es in den Flinders Ranges die “Edi­acara Hills” gibt. In diesen Hügeln wur­den, die ältesten Ver­steinerun­gen von mehrzel­li­gen Tieren gefun­den, kurz vor der Zeit, die die Kam­brische Explo­sion (vor 542 Mil­lio­nen Jahren) nen­nt. Lange Zeit dachte man, dass erst im Kam­bri­um mehrzel­lige Tiere existierten.

Fos­silien des Edi­acara-Typs wur­den in der Region des Weißen Meeres in Rus­s­land, in Neu­fund­land, dem kanadis­chen North­west Ter­ri­to­ries, in North Car­oli­na, der Ukraine und Chi­na gefun­den. Alle stam­men aus einem Zeitraum von vor 670 Mil­lio­nen bis 540 Mil­lio­nen Jahren.

In Gedanken bin ich schon unterwegs

Ich spüre, dass meine Reise begonnen hat. Meine Reise mit und zu meinen Vor­fahren. Es wird eine andere wer­den, per­sön­lich­er, intimer, als ich ursprünglich dachte. Aber natür­lich wird es viele Bilder geben, denn sie führt mich wieder in wun­der­bare Land­schaften. Es wird Ein­blicke geben in die Steinzeit, denn ich werde Orte besuchen, wo diese ersten Europäer, meine und wahrschein­lich auch deine Vor­fahren lebten.

Es ist noch dun­kle Nacht. Als ich in der Zwis­chen­welt von Tag und Nacht, Schlaf und Wach­sein meinen Gedanken beobachtete, sah ich zurück auf jene Zeit, als ich begann, mich auf die Jahre vorzu­bere­it­en, die ich noch mit mein­er Mut­ter ver­brin­gen durfte.

Es war eine Zeit des Großreinemachens, was auf seel­is­ch­er Ebene bedeutet, durch die wildesten und wüstesten Täler und Berge zu gehen und sich diesen Schmerzen zu stellen. Ich habe in den let­zten Jahren immer weniger darüber gesprochen. Ich habe zwar kein Geheim­nis daraus gemacht, aber das Bedürf­nis, es zu erzählen, wurde klein­er, je bess­er ich es hin­ter mir lassen kon­nte.  Um so mehr verblüfft bin ich, dass ich nun um 5 Uhr mor­gens den Wun­sch hat­te, genau darüber nachzu­denken und vor allem es auch aufzuschreiben. In Wahrheit wartete ich darauf.

Ich wusste immer schon, dass ich über diese Zeit­en schreiben möchte, wie und was und wieviel wird sich noch herausstellen.

Das Jahr 2007 hat mich schon vor eini­gen Wochen zu ver­fol­gen begonnen. Es war das Jahr, als ich mich ganz auf mich konzen­tri­erte, um mich auf das, was ich anschließend er- und durch­lebte, vorzu­bere­it­en. Heute kann ich sagen: I did a good job.

Mein Vater war tot und meine Mut­ter wollte noch nicht ins Heim. Sie hat­te Alzheimer und ohne die Sozialar­bei­t­erin, der ich voll ver­traute, hätte ich diesen Weg so nicht gehen kön­nen, wie ich ihn gegan­gen bin. Als ich wieder mal auf der Suche nach — zwis­chen Lein­tüch­ern ver­steck­tem Geld — war, fand ich auf einem alten Wochenkalen­der aus den 1970er Jahren Noti­zen auf dessen Rück­seite. Eigentlich dachte ich, es wären irgendwelche Einkauf­s­lis­ten, die da so flüchtig mit Bleis­tift hingekritzelt waren. Doch es waren die hil­flosen Sätze ein­er Mut­ter über ihre pubertierende Tochter. Es brach eine Welt für mich zusam­men. Denn die Illu­sion, dass meine Mut­ter immer zu mir ges­tanden wäre, brach von ein­er Sekunde zur anderen zusam­men. Grund genug, dass ich das für mich ins Reine brin­gen wollte. Ich wusste zwar nicht, was genau auf mich zukom­men würde, aber dass diese Krankheit nicht nur meine Mut­ter viel Kraft kosten würde son­dern auch mich, war mir klar.

Ich war damals arbeit­s­los, aber eigentlich wollte ich von Anfang an die Zeit nutzen, das Ver­hält­nis zu meinen Eltern zu klären und zu bere­ini­gen, damit ich mit bei­den in Frieden bin. Mein Vater hat­te sich für den Fre­itod entsch­ieden angesichts der Diag­nose Alzheimer für ihn und meine Mut­ter. Es war nicht nur ein­mal, dass ich in den ver­gan­genen Jahren an ihn dachte, weil ich gut ver­stand, was er sich erspart hat­te. Das war eines der The­men, die mich beschäftigten. Ein anderes war der Schmerz, als ich erkan­nte, wie ein­sam ich war, als alle meine Bemühun­gen mein­er Mut­ter, eine halb­wegs gute Tochter zu sein, fehlschlu­gen. Schwarz auf weiß musste ich lesen, wie meine Mut­ter sich im einen Jahr wün­schte, ich würde zu ihrem Geburt­stag dies oder jenes machen, und ich es tat­säch­lich tat. Doch als ich es im Jahr darauf genau­so machte, wie sie es sich wün­schte, war sie genau­so unzufrieden und wün­schte sich wieder anderes. Ich hat­te das alles schon längst vergessen, nur hier stand es, aufgeschrieben von mein­er Mut­ter, nicht von mir. Ich kon­nte das in diesem Kalen­der einige Jahre lang ver­fol­gen. Sie hat­te nicht viel auf die Rück­seite der Wochen­blät­ter des Stand­kalen­ders geschrieben, doch Jahr für Jahr wie ent­täuscht sie von mir war: im April zu ihrem Geburt­stag und im Mai zum Muttertag.

Das stand im Hin­ter­grund dieses Jahres. Das war die Schmerzen, denen ich mich stellen musste. Meine Mut­ter hat­te über Jahre hin­durch notiert, wie sie keine mein­er Bemühun­gen sehen kon­nte. Ich fühlte mich wie Luft. Egal was ich Tat, es existierte nicht. Ein großes The­ma für mich! Und ich wieder­holte diesen Schmerz, dass man nicht mich wahrnahm noch viele Male. Ich weiß nicht, ob ich schon ganz gehen lassen kann. Ich spüre noch einige Zweifel.

Ich durch­litt Woche für Woche in der Kör­perther­a­pie dieses “Sich-In-Luft-Auflösens”. Panikat­tak­en erschüt­terten mich und ich erzeugte mir diese Erfahrung aktuell mit eini­gen Fre­un­den wieder. Sie blick­ten durch mich wie Luft. Und eigentlich war ich auch noch durch eine andere Angst gefan­gen, dass ich mit mein­er Mut­ter, alles was mir an Fam­i­lie geblieben war, ver­lieren werde. Einige wenige Fre­unde waren meine Ersatz­fam­i­lie und die Angst sie zu ver­lieren, war riesengroß.

Ich habe diese, an die ich mich so klam­merte, alle verloren.

Neben der Ther­a­pie musste ich auch zum Chi­ro­prak­tik­er. Auch dort passierte es, dass uralte Äng­ste sich lösten. Der Nerv war zwar nicht mehr eingek­lemmt, doch undefinier­bare, kaum bewältig­bare, sprachlose Kinderäng­ste beherrscht­en mich immer wieder, nach­dem ich ihn besucht hat­te. Die Gefüh­le aus jen­er wort­losen Zeit ließen mich aber auch meist sprach­los anderen gegenüber sein. Es war meine intime Welt, meine Hölle, in die ich mich zurückzog.

Jemand warf mir, in dieser Zeit vor, einen unge­heuren Ego­is­mus entwick­elt zu haben. Heute 6 Jahre später, weiß ich, es war das Klüg­ste und Beste, das ich tun kon­nte. Denn ich habe meinen Frieden gefun­den. Ich kon­nte mit mein­er Mut­ter diese ver­gan­genen Jahre in ein­er berühren­den Har­monie ver­brin­gen. Aber wie immer tut es ver­dammt weh, einen Men­schen, den man liebt, lei­den zu sehen.

Men­schen mit Alzheimer leben nicht nur in ihren tiefen Ver­gan­gen­heit, mit ihren Gefühlen leben sie ganz im Jet­zt. Ich lebte nicht nur mit mein­er Mut­ter, son­dern kan­nte viele auch ihrer “Wohnge­mein­schaft”. Wenn ich fre­undlich war, freuten sie sich meis­tens. Nur wenn sie keinen guten Tag hat­ten, dann half alle Fre­undlichkeit nichts. Wenn ich nicht gut drauf war, war es gefährlich, denn dann kon­nten sie meine Gefüh­le spiegeln und mich noch weit­er hin­un­terziehen. Trotz allem kostete es mich über die Jahre immer mehr Kraft. Wieviel, wird mir nun langsam immer bewusster. Ich bewegte mich durch mein ganzes Leben, wie durch eine Welt die statt Luft mit galler­tar­tiger Masse gefüllt war. Alles war zäh. Knapp 14 Tage ist es her, dass sie ein­schlief, und ich füh­le mich fit­ter und lebendi­ger als die ver­gan­genen Jahre. Dafür danke ich mein­er Mut­ter nun jeden Tag. Auch dass sie den Abschied für uns bei­de so leicht machte.

Nun wird alles klar­er und rein­er. Die Gedanken fliegen wieder leicht in ungeah­nte Höhen. Das Leben wird spielerisch­er, strahlen­der, lebendiger.

Und ich darf auf Reisen gehen. Das war immer die Zeit, wo ich vieles vergessen kon­nte und vieles ler­nen durfte. Doch beim let­zten Mal bekam ich es mit der Angst zu tun. Was wäre, wenn es mein­er Mut­ter schlechter ging und ich irgend­wo auf der Erde wäre? Ich beschloss in Europa zu bleiben. Dies war der Keim dieser Reise.