Feenfabeln

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Sie liebte Märchen, alle Märchen, nicht nur jene, die sie als Kind erzählt bekommen hat, auch jene, die sie jetzt verführten, umgarnten, verzauberten. Fairy Tales, die Geschichten der Elfen, der Feen, Hexen und Zauberinnen, es waren die Erzählungen der magischen Frauen.IMG_9653
Für sie waren es schon lange keine mystischen Wesen mehr, sondern Gestalten, die zwischendurch blicken konnten, zwischen den Tönen hören, zwischen den Strahlen sehen, zwischen den Düften riechen und zwischen den Worten verstehen konnten. Deshalb waren sie fähig, Parabeln zu erzählen, um von den Zwischenwelten zu berichten. Jene anderen wussten nur nicht, dass jede Geschichte in den Köpfen entstand und niemand die Worte genau wie ein anderer verstand. Jede Geschichte wurde zu tausend Geschichten. Jeder, der sie hörte, alle, die sie lasen, nahmen sie mit ihrer stillsten, ganz eigenen stillen Seele auf.

Sie erinnerte sich, als sie einmal ein Wortmeer vor anderen entstehen ließ und plötzlich einer rief: „Genauso war es, ich habe es ganz genauso empfunden. Ich kenne dieses Gefühl der Weite und Enge, des Lautseins und der Stille.“ Und sie lächelte, denn sie wusste, er hatte seine eigene Geschichte gefunden und die Begeisterung, sich selbst entdeckt zu haben, ließ ihn jubeln. Sie beobachtete, wie er zu springen und zu hüpfen begann, weil er seine Aufregung nicht mehr zügeln wollte. Sie überlegte, doch Unsicherheit breitete sich über sie aus. Ihr war nicht klar, ob sie ihm von seiner magischen Erfahrung, die er gerade gemacht hatte, erzählen oder ob sie ihn in dem Glauben ruhen lassen sollte, Teil eines Größeren zu sein. Er war in eine Zwischenwelt gerutscht, nur wusste er es nicht. Diese Welt zwischen Tag und Nacht, zwischen Leben und Tod, die Türen öffnete in Regenbogenkomödien und Schwarzweißdramen.

Sie wollte ihm nicht verraten, dass alle aus der Ganzheit gefallen waren, und seitdem jeder, immer nur seinen privaten Teil der Einheit sehen konnte. Nur in den Zeiten dazwischen war es möglich, eine Ahnung von der Vollkommenheit zu bekommen. In Märchen war der Schritt dorthin ganz klein, denn die Reise der Fantasie hat dort begonnen und alles, was es dort zu erleben gab, war Heimat des Irrealen. Nur wenige wussten, dass das Irreale nur die Rückseite des Realen war und sie nur gemeinsam ganz sein konnten. Die Grenzen hatten zwar Löcher, aber das Gefängnis aus Fleisch und Blut hielt die reale Welt aufrecht. Warum sollte ein Traum weniger wahr sein, als das Tagwerk? Vielleicht war das, was sie jeden Tag unter dem Scheinwerferlicht der Sonne umgab die Illusion und der Traum die Wahrheit. Vielleicht war oben unten und rechts war links. Vielleicht war die Zeit Illusion und der Raum eine Chimäre. Vielleicht war die Seele nur ein anderes Wort für alles Geistige, das getrennt voneinander, neue Erfahrungen sammelte.

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