Amerika

So schnell flog ich noch nie über den Atlantik und wenn mir jemand gesagt hätte, wie herrlich ich mich unterhalten würde, hätte ich vielleicht genickt, besonders aufregend hätte ich es nicht gefunden. Ich hatte mich schon öfter gut unterhalten, aber wenn mir jemand gesagt hätte, ich würde mich wunderbar amüsieren, weil ich neben einer Frau mit Burka sitze, hätte ich zu zweifeln begonnen. Inzwischen weiß ich auch, dass es ein Niqab ist, den sie trug, ich sah ihre lebendigen Augen und erst später die Cowboystiefeln, die unter ihrem schwarzen Körperschleier hervorlugten.

Maureen mit irischen, kroatischen, böhmischen Wurzeln ist eine selbstbewusste, offene, herzliche Frau, die eine Niqab trägt. Und Maureen ist keine Frau, die irgendetwas mit sich machen lässt. Ein seltsames Gefühl sich seinen eigenen Vorurteilen stellen zu müssen. Zuerst glaubte ich, mich nicht erinnern zu können, jemals eine Frau mit einem Gesichtsschleier bewusst gesehen zu haben. Aber es ist noch gar nicht lange her, da fuhr ich in der U-Bahn und sah eine und ich weiß auch noch, dass, ich mich fragte, wie es ist, so etwas zu tragen.

Sie fiel mir schon auf, als wir in den Flieger eincheckten, wo sie sich deutlich gegen die „besondere“ Behandlung wehrte, die ihr auf Grund ihrer Kleidung zukam.

Im Nachhinein stelle ich fest, es gibt noch so vieles, was ich sie fragen hätte wollen. Die Zeit verging sprichwörtlich wie im Flug. Es waren mehr unsere Gemeinsamkeiten, die mich in den Bann zogen. Ihre Bekleidung wurde Nebensache, auch wenn mich ihr Faible für Dr. Martens und Cowboystiefel amüsiert. Da ist unser Wunsch, mit Menschen zu kommunizieren, unsere Freude mit alten und sterbenden Menschen zu arbeiten. Aber auch die Sehnsucht nach einem spirituellem Leben. Sie ist fast genau 2 Jahre jünger und hat 5 Kinder, ihr Mann ist Ägypter und nachdem er jahrelang zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA pendelte, entschlossen sie sich mit den Kindern dorthin zu ziehen. Natürlich sah ich die Bilder der gesamten Familie und selbstverständlich wurden die Kinder gefragt, ob sie mitkommen wollen.

Wir lachten und weinten gemeinsam, tuschelten und wurden laut, so vertraut, dass uns eine Sitznachbarin fragte, wie lange wir uns kennen würden.

Muslimin in den USA. Kein leichtes Los. Und nochmehr: eine Muslimin, die dazu steht und zwar so, dass es jeder sieht. Immer nur hörte ich, das Frauen dazu gezwungen wäre, sich so zu kleiden. Bestenfalls dachte ich, dass sie eine Scheu hätten, sich dem Druck der Gesellschaft, der sie angehören, zu stellen. Ich konnte mir nicht vorstellen, sich freiwillig so zu kleiden. Maureen ist anders.  Sie hat verdammt viel Selbstvertrauen und streiten möchte ich nicht mit ihr. Eine Scheibe ihres Selbstbewusstseins wäre gut für jede Frau. Mit ihren irischen Wurzeln war sie natürlich katholisch und in jungen Jahren ein Hippie und kannte auch Magic Mushrooms. Es war die Spiritualität der Native Americans mit der Belebtheit von Pflanzen und Steinen, der ganzen Natur, die sie berührte und diese fand sie dann auch im Koran. Ich habe das nicht gewusst.

Dass in der Schöpfung Gottes alles Lebendige und Nichtlebendige gleichberechtigt nebeneinander steht, berührt mich. Nicht dieses „Macht euch die Erde untertan„, das zu Respektlosigkeit und Ausbeutung gegenüber allem, was nicht der Krone der Schöpfung entspricht (und nicht mal der bringen wir die notwendige Achtung entgegen), geführt hat.

Vorurteil, Halloooo! Eigentlich sollte man ausrufen: Radikale aller Religionen vereinigt euch! Ich brauche sie alle zusammen nicht. Ohne Toleranz interessiert mich kein anderer Glaube, denn dort finde ich keinen Platz, dort ist kein Raum für mich.

Es war nun das zweite mal, dass ich mit einer Muslimin zufällig reiste. Und ich mag diese Vertrautheit, die beide Male entstand. Es waren beide Male Frauen, bei denen eine gewisse Intimität einfach durch das Frausein entstand.

Wir im westlichen Kulturkreis tauschten Nähe ein gegen eine gewisse Distanz, gleichberechtigt, egal, ob wir einem Mann oder Frau gegenüber treten, ein. Wir vertrauen einfach nicht mehr so leicht, wir sind vorsichtiger, misstrauischer geworden. Wann ist dieser Abstand wichtig geworden? Ich verallgemeinere schon wieder, wie dumm. Ich spüre Nähe und manchmal frage ich mich, ob es gerade diese Zufälligkeit ist, dieses kurze Zusammentreffen, das gleich wieder verfällt, die einen so schutzlos einem anderen ausgeliefert sein lässt. Der andere bekommt nie die Chance, die Verletzlichkeit des anderen zum persönlichen Gewinn auszunützen. Nun ich kann es testen, ich habe eine Einladung nach Abu Dhabi. Wir hatten uns so gut unterhalten, dass wir gefragt wurden, ob wir uns schon lange kennen. Emails tauschten wir aus. Und bevor sich unsere Wege trennten, sie in der Schlange für Amerikaner, ich in der aller anderen, umarmten wir uns noch ganz fest. Sie war unterwegs nach Arizona, ihrer böhmischen Großmutter ging es nicht mehr so gut. Sie war siebenundneunzig.

Und es ist wieder einmal der Beweis, dass alleine reisen viel aufregender ist. Mit jemanden an meiner Seite, wäre niemand Fremder neben mir gesessen, ich hätte nicht zu quatschen begonnen, ich hätte wieder versäumt, etwas über andere zu lernen. Noch viel weniger hätte ich mich vermutlich neben eine vollverschleierte Frau gesetzt. Das Schicksal meint es gut mit mir. Ich darf lernen. Ich will das alleine reisen nicht missen. Ich habe keine besonderen Menschen getroffen, weil ich besonders bin, sondern weil überall besondere Menschen herumlaufen. Dazu müssen nur die Augen geöffnet sein und der Wille, den anderen auch wahrzunehmen. Das reicht.

ps. Ein Jahr später: Wir schreiben uns noch, nicht oft, das Schreiben ist nicht ihres. Wir vermissen uns.

Kommentar verfassen