Klimaanlage und meine Befindlichkeit

Seit ich in Frankre­ich bin, schlafe ich nicht besonders.

Zuerst dachte ich, es ist das Reisen, dann das wech­sel­nde Wet­ter, dann was weiß ich.
Hier in Mon­ti­gnac ver­schlim­merte sich mein Ausse­hen immens, ich erschrak richtig gehend, als ich den Spiegel sah. Die dun­klen Ringe unter den Augen waren auch noch geschwollen. Die Nase rann, der Kopf schmerzte. 

Meine Ver­suche der Kli­maan­lage Herr zu wer­den, waren auch nicht beson­ders erfol­gre­ich. Nach­dem ich an der Steuerung herumgefin­gert habe, gestern den Typen von der Rezep­tion gefragt habe, der dann auch kam, aber auch nicht weit­er wusste, mit den Schul­tern zuck­te und mir für heute den Tech­niker ver­sprach, bin ich heute gegen Mit­tag nochmals zu Rezep­tion, inzwis­chen ein Schnürl ent­deckt habe, das irgend­was mit der Kli­maan­lage macht, ich aber nicht genau weiß was, rumge­zo­gen, nix ist passiert, die ange­blich englis­chsprechende Rezep­tion­istin mir nicht zuhörend nur nickt und den Tech­niker vor­beis­chickt — in 5 Minuten, der dann eine halbe Stunde später kommt und denkt, er müsse de Kli­maan­lage in Gang set­zen, oder den laut­en Ven­ti­la­tor leis­er stellen (was so Hände und Füße alles ver­ste­hen) anstatt abschal­ten, wir schliesslich gemein­sam zur Rezep­tion gehen, dort fest­stel­lend dass die Dame inzwis­chen in die Mit­tagspause ist. Wie erk­lärt man jeman­dem, in ein­er frem­den sprache, dass man ein funk­tion­ieren­des Ding, um das son­st alle froh sind, außer kraft set­zen will. Der Tech­niker ver­spricht um qua­torze heur wieder zu kom­men, ich nick­end und mich wun­dernd, denn die Rezep­tion ist erst wieder um 17.30 beset­zt, was der Haustech­niker nach 14.00 auch fest­gestellt hat, als er mich auf der Ter­rasse sitzen sieht, während er eine Klet­ter­rose vor ein­er Ein­gangstür eines anderen Apparte­ments befes­tigt. Die Augen heulen, die Nase tut es ihnen gle­ich, das Kopfweh ist heute weniger als in den let­zten Tagen und ich wun­dere mich nicht mehr, dass ich so müde bin die ganze Zeit. Nein, es hat keine tief­ere Bedeu­tung, es ist nur die Kli­maan­lage. Ich zwei­fle, dass die heute noch irgend­wie kom­men, denn der Tech­niker geht nor­maler­weise um 16.00, eine halbe Stunde bevor ein Men­sch vor­beikommt der, no air­con­di­tion­ing please, ver­ste­ht und sie nicht wieder voll auf­dreht, wie es heute schon mal passiert ist. 

Ich gebe auf, es gibt keinen Schal­ter und begebe mich zum Sicherungskas­ten, schau mal, ob das Gebläse aufhört, wenn ich den Gen­er­al-FI, oder wie immer der heißt, aufhört. Er hört auf 🙂
Ok, dann gibt es noch 3 Leut­nants, wo hört er wieder auf? Beim 2. also nun die gemeinen Sol­dat­en, einen nach den anderen abge­dreht und siehe da, das VCM, was immer das ist, ist das zuständi­ge für den Ven­ti­la­tor. Seit 2 Stun­den ist es ruhig, die Augen tun noch etwas weh, schnäuzen muss ich mich noch auch ein wenig. Es ist 17.15 und natür­lich ist er noch nicht gekom­men. Dies­mal kön­nte ich ihn anstrahlen, ok, ok stam­meln und ihn wegschick­en. Mal sehen, wie’s weitergeht. 

Was lern ich daraus? Die Kli­maan­lage ist Schuld an allem. Und ich kann sie (und die Meis­ter der Kli­maan­lage) nicht mal beschimpfen, weil sie sich­er nicht ver­ste­hen, dass ich heute eigentlich wieder in eine Höh­le oder vielle­icht doch nur ein Muse­um wollte. 

Nun kon­nte ich Fotos sortieren und her­richt­en. Hab ein wenig über den Cro-Magnon-Men­schen nachge­le­sen (warum der so heißt, wenn er ein Men­sch wie du und ich war, ver­ste­he ich noch immer nicht recht) dafür hat’s gereg­net und ich sitze im Trock­e­nen. Mal schauen, ob ich heute noch Besuch bekomme. Und bess­er denn je, ver­ste­he ich, was Kli­maan­la­gen mit mir machen.

Das Navi wollte mich nicht hinbringen — Cave d’Azé

Behar­rlich zeigte mir das Navi ein Azé in 500 km Ent­fer­nung an. Nein, da kon­nte und wollte ich nicht auf einen Sprung vorbeischauen.
Erst ein Prospekt beim Früh­stück, das mir nochmals ver­sicherte, dass es in der Nähe von Cluny sei, ließ mich weitersuchen.

Das Wet­ter war schon wie die ver­gan­genen Tage her­vor­ra­gend zum Besuchen von Höhlen geeignet, denn es schüttete.

Es ist keine der berühmten his­torischen Höhlen, aber ein Höh­len­sys­tem, das zeigt, wie eine Höh­le auch entste­hen kann. Diese hier wur­den durch einen Fluß aus­ge­spült und das Rauschen des Flußes, der sich nun einige Meter unter­halb durch den Felsen drängt, ließ mich über­legen, wie es wäre, wenn es noch wilder reg­nen würde. Denn rund­herum ste­ht das Land unter Wass­er. Die Flüße, die ich sah, Saône und Loire, über­schwemmten zahlre­iche Wiesen an ihren Ufern.

In der 2. Höh­le, in der auch über prähis­torisches Werkzeug, gal­lo-römis­che Mauer­reste und Gruselgeschicht­en von dort einge­spre­rrten Lep­rakranke erzählt wur­den, floß der Fluß auch mal rück­wärts und nahm somit auch zahlre­iche Bären­knochen mit. Sie wird auch die Höh­le der 1000 Bären genan­nt. Denn auch die benutzen dieses Höh­len­sys­tem regelmäs­sig. Ein kom­plettes Skelett eines Höh­len­bären haben sie sodann auch zusam­mengestellt, damit man sich die Größe bess­er vorstellen kann.
Cool sind auch die Schauer­märchen, die immer wieder erzählt werden.
Da wird der zugegeben­er Maßen riesige Höh­len­löwe mit dessen Schul­ter­höhe von 1,50 schon mal 3 Meter hoch. Seine Größe laut Wikipedia entspricht einem sehr großen Löwen von heutzutage.

Der Tag, an dem der Flügelschlag eines Schmetterlings mich umwarf

Meine Rech­nung scheint aufge­gan­gen zu sein. Ich wollte Altes ent­deck­en und nicht nur Außen auch Innen. Es war ok für mich, dass ich nicht mehr in die Tiefe gehen wollte, solange meine Mut­ter lebte. Es hat Zeit­en gegeben, da war ich so weit unten, dass ich nicht weit­er fall­en kon­nte. Mit ihrem Tod ist auch der Abschied von dieser Zeit gekommen.

Die Nächte brin­gen alte Erin­nerun­gen. Alte Äng­ste zeigen sich.

Ich bin nicht gut im Herum­stre­it­en. Ich bin aufgewach­sen mit Stre­its mein­er Eltern, die in ihrer Ver­gan­gen­heit lagen. Sie ver­wirrten mich. Es dauerte über 40 Jahre, bis ich erkan­nte, dass es nichts mit mir zu tun hat­te. In dieser Ver­wirrung liegt wahrschein­lich die Basis mein­er Reak­tion auf Streit. _MG_6506-001
Ob sie sich geän­dert hat, weiß ich nicht.

Bei Stre­its werde ich still und ziehe mich zurück, anstatt laut wie andere zu wer­den. Ich spreche von den inti­men, pri­vat­en Stre­its. Als Reife kann es nicht beze­ich­net wer­den. Es hat mehr mit Tot­stellen zu tun. Ich höre ein­fach zu existieren auf, ich wäh­le den Rück­zug. Meine Erfahrun­gen sind auch, als ich älter wurde, nicht hil­fre­ich gewe­sen. Während andere eine Reak­tion von mir woll­ten oder provozierten, wurde ich starr vor Schreck. Bis ich soweit gewe­sen wäre zu reagieren, waren die anderen schon ganz woan­ders. Ich brauchte Zeit, um mich zu ver­pup­pen, bis ich wieder soweit war, her­auskom­men zu kön­nen. Als ich wieder reden kon­nte, waren die anderen nicht mehr bere­it, mit mir zu sprechen. Und damit war ich wirk­lich tot. So hörte ich auf zu existieren. Irgend­wann suchte ich auch kein Gespräch mehr. „Mit dir kann man nicht ein­mal stre­it­en.“ hörte ich. Als dieser Men­sch aus meinem Leben ging, war ich mir mein­er Män­gel nicht so bewusst wie heute. Doch ich ahnte es. Ich fühlte meine Behinderung.

Begeg­net bin ich noch nie­man­dem (ich spreche hier von dem inti­men pri­vat­en Bere­ich — einem Part­ner), der mir den Raum und die Sicher­heit gab, meinem Tem­po zu fol­gen. Fra­gen “wer ich wirk­lich sei” bekam ich zu hören, oder Ver­gle­iche mit anderen wur­den gezo­gen, mit jenen mit denen man stre­it­en könne, im Gegen­satz zu mir. Ver­dammt, genau das war ich, diese Unfähige. Ich entsprach nicht den Bildern der anderen, des Rit­ters in strahlen­der Rüs­tung. Wie sehr ich dieses Bild has­se! Neben der laut­en Ruth gibt es noch eine sehr stille, sehr langsame, schüchterne. Die wollte nie­mand, nein, die, die man bewun­dern kon­nte, oder auch ver­acht­en, die war toll. Mit der starken Ruth wollte man kämpfen, während ich bei vielem stark bin, nur nicht im Zweikampf. Ich liebe diese andere, die, die kein­er sehen will.
Es macht mir auch Angst, nicht nur angeschrien zu wer­den, son­dern auch anderen beim Stre­it­en zuzuhören.

Selb­st jet­zt beim Schreiben bemerke ich mein Ein­frieren. Nicht nur Worte hören auf, aus mir zu fließen, mir wird auch kalt. Ich bin froh, dass es hier eine Heizung gibt.

Während jene, die ihre Gefüh­le laut rauss­chreien kon­nten, sich ihrer Wahrhaftigkeit sich­er waren und es ihnen von anderen auch ver­sichert wird, war meine Reak­tion eine unge­wohnte. Zeit musste bei mir verge­hen, bis die schlimm­ste Angst ver­gan­gen war. Mein Denken musste erst wieder zu laufen begin­nen. Wie soll ich jeman­den anschreien, wenn mein Hirn aufhört, sich zu regen? Da ist nichts, nichts zu sagen, nichts zu tun. Als ich mich dann endlich wieder bewe­gen kon­nte, war es für den anderen vor­bei. Und ich blieb allein.

Die Behin­derung ist so mas­siv, dass ich auch keine Erin­nerung an Stre­its habe. Ich weiß nicht mehr, was meine Eltern an mir kri­tisierten, was mich verzweifelt weg­fahren ließ. War es wirk­lich immer dieses, wie ich aus­sah, was ich anzog, was ich wog, warum so viel Zeit mit Fre­un­den ver­brachte? Und das wohlweißlich auch noch, als ich 40 wurde. Und als ich dann fuhr, ging man noch zu anderen und beschw­erte sich über mich, während ich jede Erin­nerung begrub.

Als ich endlich ein­mal meinen Zorn raus lassen kon­nte, hat­te ich auch keinen Erfolg damit. Ich weiß, dass meine Art, mit Ent­täuschung, mit Wut umzuge­hen, anders ist. Ich ver­suche mit 50 das zu ler­nen, was andere mit 2 zu üben beginnen.

Mein Rück­zug nahm anderen jede Angriffs­fläche. Bis ich soweit war, dass ich wieder sprechen kon­nte, war alles vor­bei. Ich löste mich auf. Kein­er wollte mit mir reden. Stre­it ist so etwas Intimes. Ich war nichts als Schall und Rauch. Ja, es macht mich trau­rig, dass es nie­man­den gab, der sich auf die Suche nach mir gab, dem ich wert genug war, mir in mein­er Zeit, in meinem Tem­po zu fol­gen. Muss ich mich wirk­lich ändern? Bin das dann noch ich, wenn ich rum­brülle, auch wenn mir nicht danach zumute ist? So ein blödes Geschwaf­fel über Authen­tiz­ität. Hier also liegt meine Wut über diesen Begriff begraben. Bin ich etwa authen­tisch, wenn ich so reagiere, wie andere es von mir erwarten?
Es macht mich wütend, Luft zu sein.

Ich habe keine Lust mich mit Men­schen auseinan­der zu set­zen, für die ich Luft bin. Oder wenn sie mich ins Winkerl stellen, wo ich über meine Schand­tat nach­denken kön­nte. Das hat bei mir nicht funk­tion­iert, als ich 5 war und auch nicht als ich 45 war. Ich bin kein bösar­tiger Men­sch, der absichtlich anderen weh tut. Es gibt Gründe, warum ich etwas tue und die erk­läre ich gerne. Wenn ein ander­er das missver­ste­ht, dann soll er’s mir sagen. Ich denke wirk­lich gerne darüber nach und ver­suche seine und meine Blick­winkel zu sehen und zu verstehen.

Dass ich mich in solche Sit­u­a­tio­nen, wo ich Luft werde, begeben muss, ist schlimm genug. So schnell kann ich gar nicht sein, wie ich dort weg will.

Eines habe ich gel­ernt, wenn ich bei Fre­un­den nicht so leise, so still, so langsam sein darf, wie ich es brauche, dann gehe ich. Ich sagte ein­mal, ich möchte etwas zu Ende sprechen, es aussprechen, etwas das mich schmerzte und mich in all mein­er Ver­let­zlichkeit traf. Ich sagte ein zweites Mal, dass ich etwas zu sagen hätte und kam nicht zu Wort, weil der andere es eilig hat­te, von sich zu sprechen. Als er mich ein drittes Mal unter­brach, war ich müde. So habe ich beim let­zten Mann, dem ich erlaubt habe, mir näher zu kom­men, gesagt: „Ich mag nicht mehr. Es ist mir zu anstren­gend.“ Nach dem ich ihn drei Mal gebeten hat­te, mich aussprechen zu lassen. Und er begann, mich zu beschimpfen, eine Woche lang. Bis ich unmissver­ständlich sagen kon­nte, geh weg. Dieser Mann sprach davon, so zart wie ein Schmetter­ling zu sein. Es war der Tag, an dem mich der Flügelschlag eines Schmetter­lings umwarf. Dass ich damit auch eine Fre­undin ver­lor, ahnte ich nicht. Doch ich war stolz, mir treu gewe­sen zu sein. Aber in dem Moment, wo ich wagte, so zu han­deln, wie ich es brauche, bezweifelte sie meine Authen­tiz­ität und warf mir unge­heuren Ego­is­mus vor. Es tut noch immer weh.

Es war das let­zte Mal, dass ich Kraft für so eine Auseinan­der­set­zung hatte.
Ich wollte die Kraft, die ich hat­te, nur für jeman­den ein­set­zen, der es mir wert war. Und das war in den ver­gan­genen Jahren meine Mut­ter. Die Energie für neue Exper­i­mente fehlte mir. Platz war zulet­zt nur mehr für Fre­unde, die mich, jed­er auf seine Art, auffingen.

Doch weil dies nicht genug ist, hole ich mir die Erfahrung der Nich­tex­is­tenz immer wieder in mein Leben. In lächer­lichen Momenten. Jene Stun­den, die mir per­sön­lich nicht so nahe gehen, wer­den dann plöt­zlich sehr intim. Da dachte ich, ich übe zu sagen, was mir wichtig ist. Irgen­dein sach­lich­es The­ma, in der Arbeit etwa, wollte ich benutzen, um meine Mei­n­ung zu vertreten, und ernte das Nichts. Als ob ich nie etwas gesagt hätte. Wieder löse ich mich in Luft auf. Schweigen als Antwort. Ich ver­sage kläglich, wahrgenom­men zu wer­den. Bei men­schen, die ich für meine Fre­unde hielt, hängt es mir dann Jahre nach. Und als Resul­tat frage ich mich, ergibt es über­haupt Sinn für mich, meine Bedürfnisse oder meine Gefüh­le zu äußern?

Ich bin allein.

Oft fragte ich mich, wie ich es schaffe, Luft zu sein. Ich mag nicht rum­brüllen müssen, um gehört zu wer­den. Außer­dem lernte ich, dass ich mich auch tobend aufzulösen beginne. Auch in diesen Momenten blickt man durch mich wie durch Luft.

Wäre ich mir nur weniger bewusst, wie lange es dauert, einan­der ver­traut zu machen, dann wäre es leichter. Keine Erfahrung, die ich machte, zeigte mir, dass ich so sein darf, wie ich bin, außer wenn ich alleine bin. Aber allein bin ich kaum wütend. Und vielle­icht würde dann diese Angst gehen. Vielle­icht würde ich nicht mehr erstar­ren. Deshalb füh­le ich mich so ganz ganz, wenn ich nur mit mir bin.

Ich spreche nie­man­dem ab, noch würde ich wollen, dass ein ander­er nicht stür­misch, wütend, alles um sich wer­fend ist. Lebt euren Zorn auf eure Weise, ich habe kein Prob­lem damit. Nur lasst mir meine Reak­tion eben­so, wie ich euch eure lasse. Vielle­icht irri­tiert es euch, wenn ich dann nur schaue. Aber ich kann in diesem Moment nicht mehr, ich bin bewe­gungs­los. Es ist Platz für vieles auf dieser Erde, lasst mir meinen, wie ich euch euren. Das wollte ich noch sagen.

So wie der eine unbe­herrscht nach Außen geht, gehe ich unbe­herrscht nach Innen. Wed­er das eine ist eine bewusst kon­trol­lierte Hand­lung, noch das andere. Vielle­icht werde ich sie ein­mal schneller im Griff haben, aber für jet­zt ist es genug, zu wis­sen, dass es so kom­men kann.

Schmun­zel­nd stelle ich ger­ade fest, dass ich die Hoff­nung nicht aufgegeben habe, dass ich wieder diese intime Nähe erfahre.

Das ist mein Reise­tage­buch in innere und äußere Wel­ten. Ich freu mich, dass ich diese Reise unternehme. Ich ahne nicht, wohin sie mich noch führen wird.

Autriche? Oui, je suis un Autrichien

Fre­undlich werde ich immer wieder gefragt, doch in mein­er Sprachlosigkeit der franzö­sis­chen Sprache gegenüber, bleibt mir nur ein “Bon Jour” und ein fre­undlich­es Lächeln, das mit “Bon Jour, Madame” erwidert wird. Oder einem Bonne Journée, das wie mir google trans­late ver­rät, nicht gute Reise son­dern, eben­falls Guten Tag bedeutet. Mer­ci, ist ein­deutig die falsche Antwort und erk­lärt mir nun auch die fra­gen­den Blicke. Man lernt nie aus.

Kaum bin ich im Aus­land wird die Schublade ganz klar und ein­fach. Ich bin aus Öster­re­ich, also Öster­re­icherin. Das reicht für die erste Annäherung und ich stecke in ein­er Box und habe keine Ahnung, was noch alles in dieser Box mit drin­nen steckt. Aber Lucille, meine treue Twingine, hil­ft mir sicher­lich. Öster­re­icherin in einem franzö­sis­chem Auto, das kann nicht schlecht sein. Aber ich bin hier vie­len fre­undlichen Men­schen begeg­net, die meist genau­so verzweifelt wie ich schauen, wenn’s ums kom­mu­nizieren geht. Tja, wer weiß schon was Wäschetrock­n­er auf englisch heißt. Naja, ich finde 6€ für Wäschewaschen +2€ für den Trock­n­er über­zo­gen und habe mir eine Wäschestän­der aus­ge­borgt, das Waschbeck­en tut’s auch.

Ja, die Schublade für Touris­ten ist schon etwas eigenes. Zugle­ich wird mir bewusst, wie viel ich in let­zter Zeit über Authen­tiz­ität gele­sen habe. Mein buntes Gewand hat auf jeden Fall nichts damit zu tun.

_MG_6508-001Ein hohes Lob gilt jen­em, der authen­tisch ist. Wie entset­zlich, wenn ein ander­er so gar und gar nicht authen­tisch ist. Die anderen stellen gerne die Authen­tiz­ität eines anderen fest. Der­jenige, der so mit Lob aus­ges­tat­tet ist, wird dabei nicht gefragt. Es gilt, was andere erken­nen kön­nen, nein, was sie feststellen.

Doch wie kann ein­er wis­sen, wie echt der andere ist?

Zur Übung gehe ich ein­mal vom Gegen­teil aus.

Jemand stellt fest, du bist nicht du. Du bist nicht authen­tisch. Weil?

Ja, weil, der andere dich nicht mehr ken­nt. Er stellt dabei nicht in Frage, vielle­icht selb­st eine Illu­sion von dir errichtet zu haben. Kön­nte er einem Trug­bild erlegen sein, das der andere gar nicht geschaf­fen hat, son­dern dass seine eigene Fan­tasie kreiert hat? Nur bin ich bis­lang nie­man­dem begeg­net, der sich getäuscht hat, son­dern es war der andere, der ihn absichtlich in die Irre geführt hat, der­jenige, der nicht authen­tisch ist. Und es ist unglaublich welchen Zorn dies her­vor­ruft. Wie immer ist es leichter auf den anderen wütend zu sein, als sich selb­st einzugeste­hen, sich ein falsches Bild gemacht zu haben.

Wie has­ste ich immer all die Podeste, auf die ich gestellt wurde, denn von vie­len wurde ich später mit einem Tritt in den Hin­tern weit hin­unter gestoßen. Ich habe das Podest nicht aufgestellt. Doch ich spürte es. Und ahnte den tiefen Fall schon viel früher.

Im Gegen­satz dazu ist der authen­tis­che Men­sch, jen­er der Bewun­derung ver­di­ent, der aufrecht ist. Dessen Schein und Sein stim­men miteinan­der überein.

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Heute hat mich plöt­zlich das Mit­ge­fühl mit allen erfasst, die nicht als authen­tisch gel­ten. Nicht, weil es mir selb­st ein­mal zum Vor­wurf gemacht wurde, son­dern weil ich plöt­zlich ver­stand, dass ich nie­man­den kenne, der absichtlich nicht authen­tisch ist. Nie­mand will die ganze Zeit andere täuschen. Ich spreche jet­zt vom pri­vat­en Kreis: Fam­i­lie und Fre­unde. Absichtlich wäre das wohl zu anstren­gend. Wie ist es, wenn als Schein eine Maske der Fröh­lichkeit aufge­set­zt wird? Was bedeutet es, wenn jemand nie das Ver­trauen entwick­elt hat, in sein­er Trau­rigkeit, Ver­let­zlichkeit oder Schwäche angenom­men zu wer­den? Oder wenn er es endlich ein­mal wagte, gle­ich wieder zurecht gewiesen wurde? Oder er jene Men­schen ver­lor, denen er zu trauen glaubte? Denn in sein­er Ver­let­zlichkeit war ja nicht mehr er selb­st. (Ich gehe jet­zt nicht auf Heiratss­chwindler und ähn­lich­es ein, da würde mir noch genug einfallen.)

Wer ist nun mutiger? Jen­er, der immer authen­tisch war, weil er aus der Erfahrung schöpfte, so auch angenom­men zu wer­den oder der andere, der ein­mal wagt, aus den von ihm erwarteten Bah­nen auszusteigen?

Ist das nicht ungerecht?

Ich habe mich auch in Men­schen getäuscht. Doch mir war bewusst, dass mein Wun­schbild zer­stört wurde. Manch­mal sagen Men­schen das eine und meinen das andere. Vielle­icht ist ihnen der Wider­spruch nicht ein­mal bewusst. Aber es liegt an mir, mein Bild zu kor­rigieren. Es ist nicht mein Job, den Wider­spruch aufzulösen. Es kann Gründe geben, manch­mal erkenne ichb­sie, manch­mal nicht.

Sind wir Men­schen tat­säch­lich fähig, unser Han­deln unab­hängig von anderen auszuführen? Wer han­delt tat­säch­lich aus sich her­aus? Wer ist ohne Wun­den, die Nar­ben zurück­ließen? Was haben wir zuhause gel­ernt? Denken wir darüber nach, wie unser Agieren geprägt ist, von dem, was wir von anderen gel­ernt haben? Wer ken­nt alle seine Stärken und Schwächen? Wer weiß, wie er in ein­er Sit­u­a­tion reagiert, die er noch nie erlebt hat?

Ich habe als junger Men­sch darüber nachgedacht, ob ich fähig wäre, jeman­den zu lieben, der sein Ich ver­liert, der mich nicht mehr ken­nt. Ich fragte mich, ob es noch Liebe oder doch mehr Pflichter­fül­lung sei. Ich wusste es ein­fach nicht. Jet­zt habe ich es erfahren dürfen.

Meine Mut­ter bekam Alzheimer und sie wusste lange nicht mehr, wer ich bin. Seit ich beim ersten Mal vor 5 Jahren einen Stich in mein Herz spürte, weil sie mich für jemand anderen hielt, fragte ich nicht mehr und ver­mied später auch nur Andeu­tun­gen, ob sie mich je wieder erkan­nte. Wie oft wurde ich gefragt, ob sie mich noch erken­nt. Ich weiß es nicht. Was blieb, waren unsere Gefüh­le und zwar jene, die genau jet­zt da waren, in jen­em Moment, als wir uns sahen. Die waren authen­tisch, alles andere nur Tand.

Jet­zt ist sie gestor­ben und ich habe mich bedankt für die vie­len Dinge, die sie mich gelehrt hat. Das ist vielle­icht das Beson­dere an dieser Krankheit, sie lehrt die anderen sehr viel. Meine Mut­ter wurde mein größter Lehrmeis­ter, mein Lama, was das Leben im Jet­zt bet­rifft. Ich lernte, ihr zuzuse­hen, lernte, was sie mochte. Ich durfte Dinge tun, die sie mochte. Das durfte ich auch in den let­zten Stun­den mit ihr teilen. Gibt es einen schöneren Abschied? Noch nie hat­te ich in meinem Leben das Gefühl, etwas so richtig gemacht zu haben. Bei mein­er Mut­ter war kein Schein mehr, es war alles im Sein. Ich kenne nie­man­den, der so authen­tisch war oder ist.

Das wahre Ich. Welch eine Aus­sage! Wer kann von sich wirk­lich sagen, das bin ich. Ich halte es lieber mit „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

War das, was ich am Ende sah, das wahre Ich mein­er Mut­ter? Ich weiß es nicht, so wie ich es früher auch nicht wis­sen kon­nte. Ist ihr wahres Ich doch jenes, mit dem ich in Frieden bin, das ich liebe ohne irgendwelche Bedin­gun­gen und ohne Wer­tun­gen? Auch wenn sie selb­st nicht mehr weiß, wer sie ist.

Über­all sehe ich Men­schen, die wis­sen. Während ich über alles, was ich sage, disku­tieren möchte, weil ich nichts weiß. Fest­stel­lun­gen, Behaup­tun­gen, Rechthaben, selb­st „Weise-sein“ erscheint mir eine große Illu­sion zu sein. Sie sind so klug.

Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Auf dem Berg

Zu kalt
Zu verwirrt
Zu einsam
Ich sitze auf dem Berg

Fast hätte ich es vergessen
Verdeckt durch Alltag’s Allerlei
Das tiefe Du und Ich

Wo ist der Platz der Begeg­nung des Wahren?
Wo ist der Ort, an dem ich dich sehen kann?
Wo bin ich, um dich zu erkennen?

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Musikautomaten oder wie schnell Dinge verloren gehen können

Vor eini­gen Tagen habe ich mit meinen Fre­un­den in der Schweiz in ein beson­deres Muse­um besucht, ein Muse­um, das auss­chließlich den Musikau­to­mat­en gewid­met ist.

Das Museum für Musikautomaten

Vor eini­gen Tagen habe ich mit meinen Fre­un­den in der Schweiz in ein beson­deres Muse­um besucht, ein Muse­um, das auss­chließlich den Musikau­to­mat­en gewid­met ist.

Wie oft habe ich über die Sehn­sucht der Men­schen nach Musik nachgedacht. Antwort habe ich keine gefunden.

An diesem Platz, hier in Seewen in der Nord­westschweiz, kon­nte ich aber sehen, wie tief es in allen Gesellschaftss­chicht­en ver­wurzelt ist. Ob es der Leierkas­ten ist, mit dem oft Kriegsvet­er­a­nen von Ort zu Ort zogen, oder die riesige Orgel der Bri­tan­ni­ca, dem Schwest­ern­schiff der Titan­ic, die nie die See gese­hen hat, denn der Krieg kam der Jungfer­n­fahrt als Pas­sagier­schiff zuvor und die Bri­tan­ni­ca wurde ein Lazarettschiff. Die Orgel ver­schwand und das ist bei ihren Aus­maßen wirk­lich ver­wun­der­lich. Erst als man diese Orgel zu restau­ri­eren begann, fand man Sigel, die zeigten, woher dieser gewaltige Musikau­tomat stammt.

Ich kon­nte aber auch Musikau­to­mat­en sehen, die in Fürsten­häusern standen, aber auch jene, die in Arbeit­er­vierteln standen und dort in Tanzsälen spiel­ten, wie die “Hap­py Jazzband”. Bis zu den kleinen Musik­dosen, die wir heute noch manch­mal geschenkt bekom­men, oder jenen, die kleinen Kindern ein Gute-Nacht-Lied spielen.

Die Walzen mit den Musik­stück­en waren so aus­gereift, dass sie nicht nur Noten spie­len kon­nten, son­dern auch Ped­al und Stärke des Anschlags der Pianos wiedergeben kon­nten. Wie sie diese Inter­pre­ta­tio­nen auf Papi­er bracht­en, ist heute nicht mehr bekan­nt. Die Fab­rik, die das Geheim­nis kan­nte, wurde im 2. Weltkrieg zer­stört und mit ihr das Geheim­nis der Musikautomaten.

Musik ist gren­zen­los. Sie spricht die Sprachen der Men­schen und ihrer Gefühle.

Nicht nur dass das Muse­um wun­der­schön anzuschauen ist, es liegt auch wun­der­bar. Und die Kirschblüte bringt Erin­nerun­gen an frühere unwieder­bringliche Besuche in der Schweiz.

 

Silberland

Son­nen­strahlen wer­fen eine Idee ihrer Kraft über den See, der ein Über­rest längst ver­gan­gener Zeit­en ist. Mir ist, als hätte der Gletsch­er vergessen, wie er ganz ver­schwinden kön­nte. Über­all ruft mir die Eiszeit ganz leise, doch ohne Unter­lass zu: “Wer schaut, kann find­en. Ich schlafe nur. Meine Größe spielt keine Rolle, es ist ein stetiges Kom­men und Gehen.”

Erin­nerung aus lang ver­gan­gener Zeit kommt hoch, die Unsicher­heit, je etwas richtig zu machen.

Nicht ich stelle diese Frage, denn für mich ist alles richtig. Die anderen besitzen Wahrheit­en, von denen ich nichts weiß. Das Geschenk dieser Unsicher­heit war immer schon Aufmerk­samkeit, die mich mit großer Dankbarkeit erfüllt. Sie lehrte mich zu schauen, ohne zu urteilen. Dieses Beobacht­en hat einen beson­deren Part­ner, der den Grund alles Han­delns ver­ste­hen wollte.

Und so schaue ich über das Sil­ber­land zum Sil­bersee in die Vergangenheit.

Neuenburger See